Plädoyer für einen starken Staat
Slavoj Žižek sucht „einen neuen Kommunismus“
Von Irmtraud Gutschke
Es war zu erwarten, dass dieser Philosoph provozieren würde, das hat er immer schon getan. Über 60 Bücher hat der aus Slowenien stammende und inzwischen in London lehrende Slavoj Žižek verfasst. Auch das neue musste Aufmerksamkeit finden. Und wie würde das wohl besser gelingen als mit dem Wort „Kommunismus“, diesem verteufelten Begriff seit dem berühmten Manifest von Marx und Engels. Dass es nicht genügt, die Welt nur zu interpretieren, sondern dass sie verändert werden muss, das bedeutete Revolution, Enteignung des Kapitals – also ein Kapitalverbrechen in den Augen der Ausbeuterklasse.
Žižek kennt seinen Marx und blendet das Scheitern des sozialistischen Systems in Europa keineswegs aus, im Gegenteil. Aber er will es auch hintere ich lassen um der Zukunft heutiger linker Bewegungen willen. Da beschäftigt er sich mit Syriza, Podemos, Bernie Sanders u.a. Das Buch ist ein schwerer Brocken, zumal der Autor auch ein Theoretiker der Psychoanalyse ist. Ein großer Essay, der mit uns diskutieren will. Ein Mann mit viel Wissen und starkem Ego tut alles, um uns auf seine Gedankenwege ziehen, damit wir seine Behauptungen teilen – oder auch nicht. An Provokantem hat er seine Freude. Auch durch Streit macht man sich ja interessant.
Am besten ist der Text immer dann, wenn etwas nüchtern auf den Punkt gebracht wird, auch wenn es weh tut, was ein Nicken und zugleich ein Kopfschütteln erzeugt, weil es nicht zu linken Hoffnungen passt. „Das Selbstverständnis der Europäer insgesamt ist, dass sie zu viel zu verlieren haben, um eine Revolution (eine radikale Umwälzung) zu riskieren. Deshalb neigt die Mehrheit dazu, Parteien zu wählen, die Frieden und ein ruhiges Leben verheißen (und gegen die Finanzeliten, die ‚Bedrohung durch Einwanderer‘ etc. eintreten) … Die Rechtspopulisten haben diese Botschaft viel besser verstanden; was sie anbieten ist keine aktive Demokratie, sondern eine starke, autoritäre Macht, die (so wird es jedenfalls dargestellt) im Interesse des Volkes handelt.“
Aber welche Perspektiven haben linke Bewegungen, wenn die Mehrheit „keine politische Mobilisierung“ will? Könnte man sagen: Der Mehrheit geht es eben immer noch gut. Andererseits werden wir Zeuge dessen, wie die neoliberale Wirtschaftspolitik an Macht gewann, als die Systemkonkurrenz vorbei war. Die Sozialdemokratie hat nicht dagegengehalten, sondern mit der Senkung des Spitzensteuersatzes und der Einführung von Hartz IV gesellschaftliche Ungerechtigkeit noch befeuert.
Trotzdem ist Žižek dafür, die radikal linke Haltung gegenüber der Sozialdemokratie aufzugeben, wobei er nicht ausdrücklich eine Partei meint und an anderer Stelle sagt, dass der sozialdemokratische Weg letztlich nicht funktionieren wird. „Gebt den Traum von der großen Mobilisierung des Volkes auf und konzentriert euch auf Veränderungen im Alltagsleben. Der wahre Erfolg einer ‚Revolution‘ lässt sich immer erst am Tag danach bemessen, wenn wieder die Normalität einkehrt. Wie wird die Veränderung im Alltag der normalen Menschen wahrgenommen?“
In diesem Zusammenhang besonders interessant ist seine Zustimmung zu einem starken Staat, in dem sowohl der Liberalismus als auch der klassische Marxismus „nur einen sekundären Mechanismus sehen, der den Bedürfnissen der Reproduktion des Kapitals gehorcht; somit unterschätzen beide die aktive Rolle, die Staatsapparate bei wirtschaftlichen Prozessen spielen“. Tatsächlich ist es bedenkenswert, ob die Formel „Staat als Machtinstrument der herrschenden Klasse“ nicht lähmend wirkt, wenn es um Veränderungen im Hier und Jetzt geht. Wenn die Kapitalmacht so überwindbar ist, was kann dann eine linke Bewegung bewirken?
Žižek benennt als größte ökonomisch-politische Errungenschaft des modernen Europa den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat, womit nicht eine Partei gemeint ist sondern eine „Systemformel“. Eine aufs Gemeinwohl orientierte Gesellschaft, die sich in Konkurrenz zum sozialistischen System wenigstens als solche darstellen wollte. In der Verteidigung solcher Werte, könnte eine linke Bewegung tatsächlich breite Zustimmung finden, würde keineswegs mehr marginal sein. Politische Instrumente dafür müssten nicht erst erfunden zu werden. Die Frage ist, wie hinter den Neoliberalismus zurückgegangen werden soll. Kann man denn zweimal in denselben Fluss steigen? An anderer Stelle indes orientiert der Autor auf einen radikalen Wandel, weil nur ein solcher dazu befähigen würde, „mit der Aussicht auf eine ökologische Katastrophe fertig zu werden, mit den Bedrohungen der Biogenetik und der digitalen Kontrolle über unser Leben usw.“
Sprachmächtiges Holterdiepolter findet sich genug im Buch. Europäisches Auftrumpfen mit Hilfe einer eigenen schlagkräftigen Armee? Und dann wieder der Ruf nach einem neuen „Universalismus“? Chinesischer „Kapitalistischer Sozialismus“ als Schreckensbild. Und die Formel des „zionistischen Antisemitismus“ muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Trump, die Gelbwesten, Katalonien, Brexit, LGBT, toxische Männlichkeit, „Mee Too“, „Fridays for Future“, die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, Julian Assange, das Werk des kanadischen klinischen Psychologen Jordan Peterson und natürlich Covid 19 – mit seiner Ambition, zu allem und jedem etwas zu sagen, scheint sich der Autor zu verzetteln und in seinen Polemiken hochzuspulen. Dadurch häuft er eine Fülle von Stoff über das, was er im Titel ankündigt und was ihm vorrangig wichtig ist: der Weg zu gesellschaftlicher Veränderung.
Žižeks Vorwurf an die Linke ist, dass sie im Grunde „den globalen Triumphzug des Kapitalismus akzeptiert“ und die Logik des „Wir“ gegen „Die“ aufgegeben hat. Dass sie sich an einer Vielzahl partikulärer Kämpfe abarbeitete – Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus – sieht er als Versuch, das Scheitern im Grundsätzlichen zu kaschieren. Denn die Macht des Kapitals wird dadurch nicht angekratzt. Stattdessen sieht er sich an der Seite derjenigen, die sich angesichts gesellschaftlicher Nöte in die reale Tagespolitik einbringen, ohne „die Idee einer nichtkapitalistischen Gesellschaft“ aus dem Blick zu verlieren. Für ersteres lassen sich Bündnisse schmieden. An letzterem werden sich die Geister scheiden. „Eigentum verpflichtet“ – diesem Gebot aus dem deutschen Grundgesetz wieder Wirkung zu verleihen im Sinne des inneren Friedens, wäre ein Gebot der Stunde. Aber dies könnte auch auf dem Boden der christlichen Soziallehre geschehen, wozu das gerade erst im Herder Verlag erschienene Buch „Alte Werte in neuer Zeit“ von Matthias Zimmer (CDU) aufruft. Weil es, wenn überhaupt, nur einvernehmlich gelingt, liefe es auf Reformen hinaus, gegen die Slavoj Žižek ja eigentlich gar nichts hat. Wohin aber dann mit seinem Aufruf zu einem „neuen Kommunismus“?
Darauf gibt es im Buch eine ernüchternde Antwort: “Wenn der Kommunismus irgendwann die Bühne betreten wird, dann wird er das natürlich nicht auf dem Weg einer einfachen Parlamentswahl tun, sondern durch einen Ausnahmezustand, der uns durch eine apokalyptische Bedrohung aufgezwungen wird.“ Keine schöne Aussicht.
Slavoj Žižek: Ein Linker wagt sich aus der Deckung. Für einen neuen Kommunismus. Aus dem Englischen von Michael Adrian, Frank Born und Karen Genschow. Ullstein, 345 S., geb., 22,99 €.