Der Dichter und das Amt
Von Irmtraud Gutschke
Konnte er sich denn nicht mit Literarischem begnügen? Was zog ihn bloß in Amt und Würden? Vergeudete er sich? Musste er’s bereuen? Fragen nicht nur an den großen Goethe. Bis in unsere Tage klingen sie nach, wenn Literaten sich in politische Funktionen begeben, im Ehrgeiz des Weltverbesserns.
„Regieren!!“, hatte Goethe 1777 in sein Tagebuch geschrieben, nachdem er 1775 auf Einladung des 18-jährigen Herzogs Carl August nach Weimar gekommen war. Goethe war 26 und wie der Herzog voller Ideen. Zwei junge Männer, einander ebenbürtig, will es scheinen, in ihrer überschäumenden Lebenslust. Wobei der Ältere sich dem Jüngeren, auch seines Geistes wegen, insgeheim überlegen gefühlt haben musste, während dieser nicht vergaß, wer die Macht hatte. Als Geheimer Legationsrat gehörte Goethe zu des Herzogs engstem Beraterkreis. Das sicherte ihm ein gutes Gehalt. Durch die Beziehung zum Herzog ist er nie in finanzielle Nöte gekommen. Aber das Amt wird auch Herausforderung gewesen sein, Einfluss auszuüben und selber mitzumischen. Fürstenerziehung – auch das ein uralter Traum bis ins Heute hinein. Ein spannendes Spiel zunächst, muss daraus Beschwernis werden, weil es deutliche Unterstellungverhältnisse gibt.
Sigrid Damm, die schon mehrere Bücher über Goethe geschrieben hat – seine Schwester, seine Ehefrau, seine Herzensfreundin Charlotte von Stein – kann souverän aus genauester Kenntnis erzählen. Sie lässt ihr Buch 1828 beginnen, als der 79-Jährige in seinem Haus am Frauenplan, wie fast täglich, Gäste zum Mittagessen eingeladen hat und die Nachricht vom Tode des Herzogs Carl August empfängt. Von da an lässt sie in Zeitblenden die Höhen und Tiefen diese Beziehung erleben. Auch Goethes Müdigkeit ob der Amtsgeschäfte, die 1786 so groß war, dass er sich ohne Abschied nach Italien absetzte. Die Jahre dort hat er wie eine „Wiedergeburt“ empfunden…
Aber Goethes und Carl Augusts Biographien lassen sich in Kurzfassung auch anderswo nachlesen. Was dieses Buch auszeichnet ist das feinsinnige, einfühlsame Erzählen. Sigrid Damm vermag es, uns in eine Gegenwart hineinzuversetzen, die uns mitunter (ganz zu Unrecht) als ferne Vergangenheit erscheint. Ein kulturhistorisches Sachbuch, man liest es wie einen Roman.
Sigrid Damm: Goethe und Carl August. Wechselfälle einer Freundschaft. Insel Verlag, 320 S., geb., 24 €.