Zwischen Kolibris und Orchideen – eine Mahnung
„Regenwälder“ von Josef H. Reichholf und Johann Brandstetter
Von Irmtraud Gutschke
Die meisten von uns werden wohl nie dorthin kommen – an den Amazonas. Da ist es ein wunderbares Erlebnis, wie Josef H. Reichholf, Professor für Ökologie und Naturschutz an der TU München, beim Lesen zu einem gedanklichen Reisebegleiter wird. Er nimmt uns mit ins dichte Grün des Regenwaldes, in dem sich eine unglaubliche Artenfülle an Pflanzen und Tieren verbirgt, ohne dass wir uns vor Termiten oder Pilzen auf unserer Haut fürchten müssten. Ein begnadeter Erzähler, der es bei all seinem Fachwissen schafft, mit den Lesenden auf Augenhöhe zu kommen. Wie ist dieser Artenreichtum entstanden und wie kann er sich halten? „Nur wer sich besonders gut tarnt und zugleich selten ist, kommt durch und überlebt.“ Dabei ist unsere Unkenntnis noch groß. „Die Sterne über uns sind genauer kartiert als die Lebensvielfalt, die uns umgibt.“ Die sehr großen wie die sehr kleinen Tiere zeigt er uns. Mit ihm beobachten wir die wunderschönen Kolibris, die kaum mehr als drei Gramm wiegen, wie auch die Affen, die sich von Baumkrone zu Baumkrone schwingen. „Die Bäume nutzen (recyceln) das organische Material im Boden, und sie produzieren neues im Kronenbereich mit den Blättern und Nadeln. „ Diese werden, wenn sie abfallen, von Klein- und Kleinstlebewesen im Boden zersetzt. „Zustande kommt ein endloser Kreislauf.“
„Der Wald braucht keine Menschen.“ Er erträgt eigentlich auch nur geringe Nutzung durch Tiere. Die Bäume ziehen Grundwasser nach, verhindern aber eine allzu große Verdunstung an der Bodenoberfläche, weil sie diese beschatten und feucht halten. Große Wälder leisten aber auch viel bezüglich der Niederschläge. „Aber dass der Wald selbst Regen macht, funktioniert nur, wenn er großflächig vorhanden ist.“
So hat Joseph H. Reichhilf dieses Buch nicht nur deshalb geschrieben, um uns in eine faszinierende fremde Welt mitzunehmen, sondern vor allem auch, um uns vor Augen zu führen, welche Bedeutung die Regewälder für die ganze Erde, also auch für uns besitzen. Über die Abholzung der Regenwälder, um landwirtschaftliche Nutzflächen zu schaffen, wurde jüngst auf dem Weltklimagipfel in Glasgow kritisiert. Sojafelder, Rinderweiden, Zuckerrohrplantagen zur Gewinnung von Bioethanol … Vielen ist es gar nicht klar: „Was als „Grünen Energie“ angepriesen wurde und bis heute als solche gilt, gehört tatsächlich oft zu den Hauptbelastungen für die Erdatmosphäre und zu den Hauptvernichtern von Biodiversität.“ Durch massive Steigerung von Palmölimporten und Soja als Kraftfutter für Stallvieh ist letztlich auch Deutschland an der Regenwaldvernichtung beteiligt.
Und außerdem gibt es den „Fluch des Goldes“, das mit hochgiftigem Quecksilber aus dem Sand oder Kies der Flüsse gewaschen wird. Mit Fischen und Landtieren gelangt es in die Wälder. „Die meisten Goldsucher sind illegal unterwegs“, schreibt Josef H. Reichholf, und sie tragen gegenwärtig auch das Corona-Virus in die abgelegenen Gebiete der indigenen Völker. Überhaupt haben sich viele unserer Infektionskrankheiten mit dem Menschen entwickelt, nachdem sie von Tieren auf uns übergesprungen sind. Das betrifft nicht nur die Fledertiere oder die Schuppentiere, die als Quelle von Covid-19 verdächtigt wurden. Generell sei angezeigt, die Regenwaldtiere zu meiden. Wer Fleisch von Wildtieren isst, geht ein Risiko ein.
Ungemein faktenreich ist dieses Buch und, wie gesagt, so geschrieben, dass es packende Lektüre wird. Mit den Schautafeln, Karten und Einzelbildern des preisgekrönten Illustrators Johann Brandstetter wird es zur Augenweide.
Josef H. Reichholf und Johann Brandstetter: Regenwälder. Ihre bedrohte Schönheit und wie wir sie noch retten können. Aufbau Verlag, 270 S., geb., 32 €.