Im Sinne des Gemeinwohls
Von Irmtraud Gutschke
Konsequent aus christlicher Verantwortung zu sprechen und zu handeln – nicht alle Funktionsträger der CDU können das für sich in Anspruch nehmen, wenn es nicht nur ein Lippenbekenntnis sein soll. Da hat der langjährige Bundestagsabgeordnete Matthias Zimmer seiner Partei im Sinne der christlichen Soziallehre ein Diskussionsangebot gemacht, das manchem unbequem sein dürfte. Man hofft für ihn, dass es nicht so vehement zurückgewiesen wird wie das von Sarah Wagenknecht an die Linke. Seltsam mag es scheinen, warum mir jetzt ihr Buch „Die Selbstgerechten“ in den Sinn kommt, obwohl darin nicht von explizit christlichen Werten die Rede ist, aber von Gemeinwohl durchaus, an dem sich praktische Politik orientieren muss. Zimmer wie Wagenknecht, von verschiedenen Seiten kommend, wenden sich gegen jene egoistische Raffgier, die dem Kapitalismus wohl immanent ist, aber staatlicherseits gezügelt werden muss. Sie plädieren für eine verantwortungsvolle Politik und bekennen sich zum Traum einer besseren Welt.
Warum könnte nicht Matthias Zimmer zum Kanzlerkandidaten werden, bedauerte ich beim Lesen, obwohl ich mir die Frage natürlich beantworten kann. Was er Grundsätzliches zu vielen Problemen dieses Landes sagt, ist wohl zu diskutieren, aber nicht von der Hand zu weisen. „Wir haben eine Verpflichtung dafür, dass Armut aus der Welt verschwindet.“ Ein klares Votum findet sich zu den Rechten der Arbeitenden und dazu, dass Eigentums verpflichtet. „Wirtschaftskompetenz hat etwas mit Moral zu tun. Das wird leider immer wieder vergessen… Politik ist dazu da, den Schwachen zu helfen; die Starken helfen sich schon alleine.“ Ansichten, die viele teilen, auch wenn man weiß, wie schwierig gute Vorsätze praktisch umzusetzen sind. Der Begriff „alte Werte“ ist absichtsvoll provokant gesetzt in einer Zeit, in der alles auf „Neues“ orientiert scheint und „alt“ gar irgendwie mit verstaubt in Zusammenhang gebracht wird. Da scheint sich der Autor gerade auch an diejenigen zu wenden, denen das auf die Nerven geht. Nicht nur im Westen der Bundesrepublik gibt es viele, die sich verschämt oder trotzig eingestehen, dass sie „althergebracht“ denken – im Gegensatz zum derzeitigen Neoliberalismus, der nicht nur die Arbeiter, sondern auch die alte Mittelschicht an den Rand gedrückt hat. Ihre Gefühlslagen gehören zu dieser Gesellschaft ebenso wie die der neuen urbanen Mittelschicht, die für sich eine Meinungsführerschaft in Anspruch nimmt. „Konservativ“ die einen, „progressiv“ die anderen? Sahra Wagenknecht nimmt für sich selbstbewusst den Begriff „linkskonservativ“ in Anspruch. Aber ist das nicht ein Widerspruch in sich? Egal, ich könnte mir die beiden Autoren gut in einem angeregten Gespräch vorstellen, was ihre Parteien ihnen übelnehmen würden. Viele gibt es, denen das Parteiengezänk zuwider ist und die sich Politik lieber als „runden Tisch“ wünschen würden. Aber ja, ich weiß, das ist naiv.
Matthias Zimmer: Alte Werte in neuer Zeit. Christliche Verantwortung und praktische Politik. Nomen Verlag, 189 S., br.,