Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Lothar Schröter: Der Ukraine-Krieg

Wie die Welt sich neu sortiert

Der Ukraine-Krieg macht mir Angst, aber auf das Gespräch mit dem Autor dieses Buches freue ich mich

Irmtraud Gutschke

So viele Veröffentlichungen gibt es schon zu diesem Thema, und mindestens zwei Meinungen gibt es dazu. Im medialen Mainstream dominieren die Emotionen. Umso wichtiger sind politische Analysen. Auch diesbezüglich haben sich schon zahlreiche Autoren ans Werk gemacht. Das Buch von Lothar Schröter ist besonders dick und schwer. Als Historiker – am Militärgeschichtlichen Institut der DDR in Potsdam hat er promoviert und habilitiert – widmet er sich der Vorgeschichte dieses Krieges viel ausführlicher als andere es vor ihm taten.  Bezüglich der Militärgeschichte der NATO und der BRD ist er anderen voraus. Auf akribische Weise bringt er seine Forschungen in dieses Buch ein.

Dass es sich beim Ukraine-Krieg um einen Konflikt zwischen zwei Staaten handeln würde, von denen der eine – Russland – verlorene imperiale Macht zurückerobern will, ist ein mediales Narrativ, das viele vielleicht gerne glauben möchten. Das vereinfachte Täter-Opfer-Schema schließt sich nahtlos an das antikommunistischen Feindbild Sowjetunion aus dem Kalten Krieg an. Aber auch wer aus DDR-Zeiten das Lied „Glaubst du, die Russen wollen Krieg“ noch im Ohr hat, mag nun in eine Enttäuschung hineingestoßen sein, zumal Russland ja nicht mit der UdSSR zu verwechseln ist, die sich Sozialismus  zumindest auf ihre Fahnen schrieb. Selbst Wohlmeinende beobachten des Erstarken des Nationalismus dort. Denn von militärischen Konflikten werden Staaten auch im Inneren verändert. Informationspolitik wandelt sich zur Kriegspropaganda.

Wie wir das auch hier zu spüren bekommen, beweist eigentlich schon, wie Deutschland als Teil der NATO in einen Krieg involviert ist, der nicht in unserem Interesse sein kann. Insofern verspreche ich mir ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit Lothar Schröter, beginnend mit Erörterungen zum Kriegsverlauf, bis hin zu möglichen Friedenslösungen. Beginnend eigentlich schon mit der Frage, wann der Krieg in der Ukraine begonnen hat und ob die unablässig wiederholte „Schwurformel“ vom völkerrechtswidrigen Angriffskrieg überhaupt stimmt. Wie „ein Ritual“ ist sie „eingefordert, wie ein Kotau, um überhaupt weiter mitreden zu dürfen“, so wird im Buch die im März 2023 verstorbene Pazifistin und frühere Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer zitiert, die von 1994 bis 2005 für die Grünen Vizepräsidentin Bundestages war.

Welche Interessen hat die Ukraine, welche der sie kollektiv unterstützende Westen und welche Russland? Ist die Sicherheit Deutschlands in Gefahr, wie nicht nur Verteidigungsminister Pistorius uns nun unablässig einzureden versucht? Ist es höchste Zeit, unser Land „kriegstüchtig“ zu machen? Sollten wir uns gar über die US-Mittelstreckenraketen freuen?

Es ist ein großer Vorzug dieses Buches, wie das Ukraine-Thema nicht nur historisch, sondern auch aktuell in geopolitische Zusammenhänge eingeordnet wird. Während wir gebannt wie das Kaninchen auf die Schlange auf die gefährlichen Entwicklungen zwischen Kiew und Kursk schauen, vollziehen sich doch auch in davon weit entfernten Teilen der Welt fundamentale Umwälzungen. Lothar Schröter spricht von einem „in seinen Ausmaßen und seiner Tiefe überhaupt nicht zu überschätzenden geostrategischen Umbruch“, den er mit der Teilung der Welt nach 1917 vergleicht. Was sortiert sich da „politisch, wirtschaftlich und militärisch völlig neu“ und welche Auswirkungen wird das auf uns haben?

Wie nachvollziehbar ist da der Wunsch, dass die Kräfteverhältnisse so bleiben mögen, wie sie sind? Liegt da der eigentliche Grund unserer Ängste und gibt es womöglich gar ein Interesse, sie zu schüren? Könnte Deutschland überhaupt neutral bleiben? Und was blüht uns durch das Aufstreben des jener Staaten im Süden und Osten, die der Westen bislang zu wenig ernst genommen hat? Würde eine multipolare Welt friedlicher sein? Dass der „machtpolitische Grundkonflikt mit China“ unsere Epoche prägt, wie Lothar Schröter schreibt, wird Europa vor weitere Entscheidungen stellen. Wie müsste eine deutsche Regierung sich verhalten?

Viele Fragen. Leider kann ich nicht zaubern, um den Lauf der Dinge zum Besseren zu verändern. Aber sie zu durchschauen, hilft immerhin als geistiges Stärkungsmittel, um sich nicht ganz ohnmächtig und vereinnahmt zu fühlen.

Lothar Schröter: Der Ukraine-Krieg. Die Wurzeln, die Akteure und die Rolle der NATO. Edition Ost, 348 S., geb., 32 €.

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