„Der Meister sprach …“
Verbeugung vor Hans van Ess
Irmtraud Gutschke
Ein Brocken von fast anderthalb Kilo, also nicht im Bett zu lesen, wie ich es gern tue. Und auch nicht „in einem Ritt“ mit 816 eng bedruckten Seiten. Ich verneige mich vor Hans van Ess. Eine riesige Arbeit hat er geleistet, indem er die Gespräche des Konfuzius neu übersetzte. Es existieren ja viele Übersetzungen, seit dem 17. Jahrhundert schon. Sammlungen von Zitaten gibt es noch viel mehr. Der Autor ist indes der Überzeugung, dass es sich bei den „Gesprächen“ nicht um eine Zusammenstellung von Sprüchen, sondern um einen durchkomponierten Text handelt, der im ersten Jahrhundert vor Christi aus älteren und früheren unverbundenen Aussagen in eine Reihenfolge gebracht wurde, die mit der damals bekannten Biografie des Konfuzius im Einklang stand und das Ziel hatte, eine Art Lehrtext entstehen zu lassen.
Wie sich das heutige China explizit auf diesen Lehrmeister bezieht, der vor 2500 Jahren lebte, lässt dieses Buch so interessant erscheinen. Aber kann man von diesem altchinesischen Text eine Brücke zur Gegenwart schlagen? Hans van Ess erliegt dem Druck des Aktuellen nicht. Er abstrahiert nicht vom historischen Hintergrund, sondern will ihn im Detail vor Augen führen, sodass Konfuzius uns nicht wie ein Denkmal, sondern wie ein lebendiger Mensch erscheint, der durch Schicksalsschlänge ging, zunächst im Reich Lu in den Staatsdienst trat, dann auch andere Reiche und ihre Herrscher kennenlernte. Dabei hatte er mehrere Schüler, mit denen er ja die „Gespräche“ führte. Auch mit deren Biografien hat sich Hans van Ess beschäftigt.
Und er lässt die Aussagen von Konfuzius nicht allein für sich stehen, sondern bringt sie in historischen Kontext. „Der Meister sprach: ‚Lernen und den Stoff zur richtigen Zeit einüben, ist das nicht wahrhaft ein Vergnügen? … Nicht aufbrausen, wenn einer etwas nicht versteht, ist so einer nicht wahrhaft ein Edler?'“ Schülern und Lehrern von heute sei’s ins Stammbuch geschrieben ebenso wie Politikern, wenn er sagt: „Die Gegenseite angreifen schadet einem nur selbst.“ Das ist aber kein Antikriegs-Appell, sondern bezieht sich auf die Situation bei Hofe, wo oft im Beisein des Herrschers gestritten wurde. Andere Ratschläge gelten den Machthabern. „Ji Kangzi fragte: ‚Welches Mittel der Überredung muss ich wählen, um das Volk zu Ehrerbietigkeit und Treue zu bringen?‘ Der Meister sprach: ‚Walte über es anhand von Mannhaftigkeit, dann ist es ehrerbietig, und mit kindlicher Hingabe und Güte, dann ist es treu. Erhebe die Guten und unterweise die Unfähigen, dann sind sie überredet.'“
Aufschlussreich war mir beim Lesen, wie ethische Regeln hier immer wieder mit Machtpolitik verbunden werden. Der Staat erscheint als eine Ordnung, die gestärkt und gehalten werden muss. Nur so kommt man dem Ideal der Harmonie näher. Und also hat das Bewahren einen hohen Stellenwert. Die Identität des einzelnen ist damit verbunden, wie er mit anderen Menschen Umgang hat. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist von einigem Reiz für uns westliche Menschen, beinhaltet im Grunde aber Forderungen, die dem verbreiteten Individualismus widersprechen. So wundert man sich nicht, dass sich die Kommunistische Partei Chinas diese Tradition zunutze macht.
Unter feudalen Bedingungen konnte von irgendwelchen Gleichheitsvorstellungen nicht die Rede sein. Bei Konfuzius gibt es ein Volk, das regiert werden muss, und das möglichst geschickt und im Guten. Wobei es eben interessant ist, wie er innerhalb der „Elite“ Unterschiede macht zwischen „Edlen“ und Kleingeistern. „Der Meister sprach: ‚Das Leben des Menschen bestehe aus Geradheit! Das Leben des Gauners bedeutet, mit Glück entkommen zu suchen.“ Brave Männer hat er im Sinn, von Frauen versteht er wenig, und stabile Zustände. „Der Meister sprach: ‚Unter den Wohnorten sind diejenigen am schönsten, an denen ein guter Umgang miteinander herrscht. Wer sich aussucht, nicht an einem (Ort) zu verweilen, an dem ein guter Umgang miteinander herrscht, woher sollte er dann klug sein?“ Was da wie eine allgemeine Maxime klingt, hat allerdings auch wieder einen ganz konkreten Hintergrund. Und Hans van Ess ist zu bewundern, wie er immer wieder davon weiß.
Konfuzius Gespräche. Neu übersetzt und erläutert von Hans van Ess. Verlag C.H. Beck, 816 S., geb., 48 €.