Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Jörg Hülsmann: Kant

„Das Höchste, was der Mensch besitzen kann“

Irmtraud Gutschke

Nicht nur aus Beflissenheit gegenüber einem großen Erbe ist der 300. Geburtstag von Immanuel Kant Anlass für zahlreiche Publikationen gewesen – vom Beginn einer opulenten Ausgabe seiner gesammelten Schriften bis hin zu dieser Graphic Novel, die Leben und Werk des berühmten Philosophen der Aufklärung auf anschauliche, sagen wir ruhig populäre Weise erschließen will. Jörg Hülsmann stützt sich vornehmlich auf Originalzitate und entschied sich für eine Gestaltung in nur wenigen Farben: ein dunkles Petrol, Schwarz, Weiß, Grau und mitunter ein klein wenig Gelb. Nichts Buntes, das uns ablenken könnte, dagegen zeichnerische Strenge. Schließlich geht es um Kants Gedanken, die, trotz Erziehung in Frömmigkeit, hinausstrebten über das Gewohnte, Rationalität und Sinnlichkeit verbinden wollten.

In Bild und Text entsteht eine Biographie des Philosophen, in die auf gekonnte Weise das eingebettet ist, was wir als seine Lehren im Gedächtnis behalten sollen. Kant hatte es nicht leicht, musste sein Geld als Hauslehrer verdienen, bevor er 1755 in Königsberg promovierte. Und auch danach teilte er das Los vieler kreativer Menschen, immerzu auf der Suche nach einer bezahlten Stelle zu sein. Lang war sein Weg zu einer Professur in Königsberg, mit bewundernswerter Disziplin gestaltete er seinen Tagesablauf. Er aß nur einmal am Tag und das zu Mittag. Wobei man sagen muss, dass er einen Diener und eine Köchin hatte. Da erfahren wir auch, welche Speisen sie zubereitete und welche Wege er für seine Verdauungsspaziergänge wählte, wie er schlief und ob er sich je für Frauen interessierte.

Das Herzstück des Buches ist indes Kants Leistung als Philosoph. „Was kann ich wissen?“ Ob hinter der sichtbaren Wirklichkeit noch etwas liegt, das wir nur erahnen können, hat Menschen seit jeher beschäftigt. Unsicher müssen sie tatsächlich sein, was sie dem objektiv Gegebenen an Subjektivem hinzufügen. „Wir können die Welt nur erkennen, wie sie uns erscheint, nicht, wie sie an sich ist.“ Dies einfach Agnostizismus zu nennen, greift zu kurz. Allerdings ist der Mensch vom Grunde seines Wesens dazu getrieben, über sich und die endliche Welt hinaus zu fragen.

Von allgemeiner Gültigkeit sind Kants Erwägungen zur Kunst, die „eine Mittelstellung zwischen Naturerkenntnis /reine Vernunft) und Ethik (praktische Vernunft)“ einnimmt. „Sie ist im Sinne unseres transzendentalen Ichs schöpferisches Werk unseres Verstandes. Sie ist erfahrbar wie die Natur. Sie ist wie unser von Idealen/ Ideen geleitetes moralisches Handeln aber auch aus der Freiheit geboren, da wir auch ihr Ziel selbst setzen.“

Dass sich der Mensch durch die Freiheit seines Willens über die Natur erhebt, hat Jörg Hülsmann mit einer Rakete illustriert, von der wir nur hoffen können, dass sie der Erforschung des Weltraums dient und nicht der Vernichtung anderer Menschen. Weithin bekannt ist ja Kants „Kategorischer Imperativ“: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Was für eine Mahnung für die Gegenwart! Und erst das: „Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines andern Staats gewalttätig einmischen.“

Und warum tun es die Staaten doch? Warum handeln Menschen so oft nicht nach dem kategorischen Imperativ? Da blättert man sich noch einmal durchs Buch und vergleicht Kants bei aller Rationalität subjektiven Idealismus mit dem eigenen philosophischen Wissen. Nicht hoch genug einzuschätzen ist Jörg Hülsmanns Leistung, Kants philosophisches Gebäude mit ihm zusammen zu durchwandern und uns eine Zusammenfassung dessen zu geben, was bis heute Gültigkeit hat. Da finet sich schon auf Site 13 ein beherzigenswerter Satz, mit dem der Philosoph seine Mutrter charakterisierte: „Sie besaß ds Höchste, das der Mensch besitzen kann, jene Ruhe, jene Heiterkeit, jenen inneren frieden. Keine Not, keine Verfolgung versetzte sie in Missmut, keine Streitigkeit war vermögend, sie zum Zornund zur Feindschaft zu reizen.“

Jörg Hülsmann: Kant. Vom Aufbruch der Gedanken. Graphic Novel. Knesebeck Verlag, 96 S., geb., 24 €.

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

 

© 2024 Literatursalon

Login