Die neue Weltmacht ist anders
Hans van Ess gibt eine Einführung in die chinesische Philosophie
Von Irmtraud Gutschke
Wäre es hierzulande vorstellbar, dass ein Denker, der 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung lebte, so stark das Heutige prägt wie es bei Konfuzius in China ist? Andererseits, geht unsere Kultur doch auch sehr weit zurück. Die Zeitrechnung beginnt mit Christi Geburt. Wobei das Christentum eine Religion ist und keine Philosophie und der aus dem Griechischen stammende Begriff Philosophie erst über das Japanische ins Chinesische kam. „Oft heißt es, dass ein zentrales Motiv für die Entstehung der europäischen Philosophie die Suche nach Wahrheit gewesen sei, das Verständnis dessen, was die Welt in ihrem Innersten wirklich ist Ein echtes Äquivalent dazu hat es in China nicht gegeben“, schreibt der Sinologie-Professor Hans van Ess zu Beginn seines Buches. „Dort ist der zentrale Begriff in allen philosophischen Schulen das Dao, der rechte Weg oder auch die Methode, wie man etwas richtig macht.“ Dazu fällt mir der Begriff „praktische Philosophie“ ein.
Ist die chinesische Denkwelt wirklich so fremd? Das muss man beim Lesen selber herausfinden. Es ist das Werk eines Sinologen, der sich tiefgründig mit chinesischer Philosophie beschäftigt hat, mit einzelnen Denkern und Schulen also, beginnend mit Konfuzius und Mo Di, Mengzi und Laozi über die chinesisch-buddhistische Philosophie bis hin zum Neukonfuzianismus in der Volksrepublik China, wo man einen eigenen Weg jenseits westlicher Denkmuster sucht, nicht abgeschottet von ihnen. Werke westlicher Philosophen werden ins Chinesische übersetzt und diskutiert, vor dem Hintergrund allerdings, dass die neue Weltmacht wohl Anregungen aufnimmt, aber keine Bevormundung braucht.
Hans van Ess: Chinesische Philosophie. Von Konfuzius bis zur Gegenwart. C.H.Beck, 128 S., br., 9,95 €.