Von den Affen bis zum Zweiten Weltkrieg
Irmtraud Gutschke
So bald ich einigermaßen lesen konnte, wie liebte ich es, in den alten Lexika zu blättern, die wir zu Hause hatten. Die waren für Erwachsene bestimmt, kleingedruckt und nur wenig illustriert. Vom DDR-Kinderbuchverlag gab es dann 1967 das Lexikon „Von Anton bis Zylinder“ mit 1450 Stichwörtern und vielen Bildern, das später bei Beltz in überarbeiteter Form wieder aufgelegt wurde. Ein Vergleich mit dem vorliegenden Band würde sich lohnen. Dass der Zylinder fehlt, ist ja überhaupt kein Problem, wer trägt den heute noch.
Hier findet sich ein A bis Z von den Affen bis zum Zweiten Weltkrieg. So muss es ja sein bei Lexika, dass die alphabetische Ordnung inhaltlich auch für ein Durcheinander sorgt. Oder für Abwechslung, wenn man es so ausdrücken will. Ich als Kind habe mit geschlossenen Augen gern eine beliebige Seite aufgeschlagen und mich festgelesen. In der Zufälligkeit der Auswahl lag ein großer Reiz. Das wollte ich jetzt auch mal versuchen und fand auf Seite 124 die Inka und auf 125 die Insekten. Da sieht man links auf einem schönen Bild, wie Bauern Kartoffeln und Mais pflanzen und wie in einer Sänfte der Sapa Inka vorbeigetragen wird, der Herrscher, vor dem sich alle verbeugen müssen. Eine goldene Scheibe zeigt den Sonnengott, ein Lama aus Gold steht für das schon damals hochentwickelte Kunsthandwerk. Aber wie das größte Reich der Welt nach dem Einmarsch von Franzisco Pizarro mit seinen Truppen unterging, erfährt man nicht. Was nicht wirklich schlimm ist. Kinder, die das wissen wollen, werden ihre Eltern fragen.
Und so ist es auch auf der Insekten-Seite. Ein prächtiger Ritterfalter nimmt viel Raum ein, und man vermisst… Aber so darf man an dieses Lexikon nicht herangehen. Eine große Expertengruppe war für die Texte verantwortlich, Lektorat und Bildredaktion waren auch nicht klein. Alle zusammen würden wohl ein ganzes Haus brauchen, in dem garantiert viel hin und her diskutiert wurde, ehe das Buch endlich fertig war. Denn ob „Afrika“ oder „Alltag im All“, „Bronzezeit“ oder „Bruchrechnen“, „Sklaverei“ oder „Smartphones“ – mit ganz wenigen Ausnahmen war einem Stichwort jeweils nur eine Seit zugedacht, auf der Illustrationen den größten Raum einnehmen sollten.
Ganz anders als das Lexikon meiner Kindheit, aber sowas würde heute kein Kind mehr in die Hand nehmen wollen. Kunst, Kultur, Geschichte, Erde, Natur, Naturwissenschaft, Technologie, Weltraum, menschlicher Körper – die Wissensschnipsel brauchen schon eine bunte Garnierung, müssen schnell konsumierbar sein. Und das ist ja auch noch nicht der Endpunkt für die Beschäftigung mit dem Buch. Sehe ich auf der Seite „Smartphones“ zum Beispiel eine „HoloLens“-Brille, mache ich mich auf einen Weg, um mehr davon zu erfahren. Wobei Schülerinnen und Schüler davon bald mehr wissen könnten als ihre Eltern und Großeltern. Künstliche Intelligenz wird etwas Gewohntes sein in ihrem Leben.
In diesem Grundschullexikon verbirgt sich eine große Kunst: alte und neue Wissensinhalte in fassliche Zusammenhänge zu bringen, ohne das eine gegenüber dem anderen zu vernachlässigen. In sehr knappen, fasslichen Formulierungen – das will gekonnt sein. Für Kinder ab 6 tatsächlich ein Buch zum Blättern und Festlesen. Für Erwachsene eine Sammlung inspirierender Denkanstöße.
Als Geschenk zum Schulanfang eigentlich unverzichtbar.
Simon Adams u.a.: DK-Grundschullexikon. Wissen von A-Z. Verlag Dorling Kindersley, 320 S., geb., 24,95 €.