Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Die Treuhand

Endstation Marktwirtschaft

„Die Treuhand. Ein deutsches Drama“ folgt den Schicksalen vieler DDR-Betriebe

Von Irmtraud Gutschke

Auf dem schwankendem Schiff eines untergegangenen Staates wünscht man sich ja, eine „treue Hand“ zu ergreifen. Wie viele DDR-Betriebe allerdings von der „Treuhand“ über den Tisch gezogen wurden, ist inzwischen längst kein Geheimnis mehr. Zum Thema gab es schon mehrere Publikationen. Der vorliegende von Olaf Jacobs herausgegebene Sammelband (vor dem Hintergrund eines Films und einer gleichnamigen Serie in mehreren Sender der ARD) hat seinen Vorzug auch in der Konkretheit. Über die allgemeinen Einschätzungen der Anstalt hinaus finden sich hier die Schicksale mehrerer Betriebe, die durch die Privatisierung mitnichten prosperierten. Was bei Pentacon Dresden geschah, welche „Schlammschlacht“ um die Interhotels veranstaltet wurde und um die Kaufhallen in Schwerin, wie das Schwermaschinenbau-Kombinat „Ernst Thälmann“ abgewickelt wurde, wie sich die Treuhand in Rudolstadt hinters Licht führen ließ – dies und vieles andere ist anhand der Recherchen von Michael Graupner nachzulesen. Matthias Judt analysiert auf erfreulich differenzierte Weise die Rahmenbedingungen – beginnend mit der Situation der DDR-Wirtschaft in den späten 1980er Jahren – und denkt auch darüber nach, wie der Prozess politisch hätte anders gestaltet werden können, respektive welche Fehler gemacht wurden, sodass die von Konsumenten mit (naiven) Hoffnungen bedachte „Marktwirtschaft“ für viele Produzenten zur Endstation wurde.

Dabei ist die Treuhand nicht etwa eine westdeutsche Erfindung gewesen. Von den Runden Tischen angeregt und von der letzten DDR-Regierung beschlossen, war diese Institution zunächst dazu gedacht, „das Volkseigentum zu wahren“. Das Gegenteil geschah. Wie schnell die Treuhand durch den Beitritt zur BRD unter die Ägide dieses Staates geraten und von Volkseigentum bald nicht mehr die Rede sein würde, hat niemand vorausgesehen. Wie Michael Schönherr in seinem interessanten Beitrag zeigt, war dies für den BRD-Staatshaushalt sogar ein Verlustgeschäft. Und in den neuen Bundesländern ist um des Irrglaubens willen, dass die Macht des Marktes alles richten würde, eine flächendeckende Deindustrialisierung in Kauf genommen worden. Um das alles aufzuarbeiten, Korruption, Betrug und dubiose Geschäfte inklusive, würden 45 Regalkilometer Akten zu sichten sein.

Olaf Jacobs (Hg.): Die Treuhand. Ein deutsches Drama. Mitteldeutscher Verlag. 120 S., br., 12 €.

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