Inbegriff der Romantik
Irmtraud Gutschke
Obwohl die große Ausstellung „Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften“ in der Alten Nationalgalerie erst am 19. April eröffnet wird, sind bereits 30 000 Eintrittskarten online verkauft. Diese Meldung in der BZ ist schon mal beste Reklame. Es spricht sich herum: Die Schau mit knapp 120 Werken des romantischen Malers ist ein Muss für Kunstinteressierte. Dass die der Hamburger Kunsthalle, in der gerade zu Ende gegangenen Friedrich-Ausstellung 335 000 Besucher hatte, wird auch nicht verschwiegen. Eine weitere Exposition wird es in Dresden geben.
In Dresden beginnt auch Boris von Brauchitschs detaillierte Biografie, die allein schon in den vielen Ausstellungsbesuchern ein dankbares Publikum finden könnte. In der Morgendämmerung ist der Maler von einem Spaziergang am Ufer der Elbe zurückgekehrt und öffnet die Fensterläden nicht gleich, um das Licht von draußen noch etwas zu dämpfen. Als er schließlich Morgenluft und -licht hereinlässt, verfinsterte sich seine Miene. Die Bäume am Fluss waren beschnitten, zu Krüppeln gemacht. „Warum konnten sie die Natur nicht in Frieden lassen? Mussten die Menschen wirklich alles beschneiden, zurechtstutzen, verstümmeln, wenn es so wachsen wollte, wie der innere Trieb es verlangte?“
Mit dieser Frage ist wahrscheinlich schon eine Antwort gegeben, warum es so viele Menschen zu Caspar David Friedrichs Bildern zieht. In ihnen ist ein Staunen. Innen- und Außenwelt begegnen sich. Mit ihm sind wir gefangen in der Betrachtung des Mondes oder stehen wie der „Wanderer über dem Nebelmeer“. Mehrere Seiten hat Boris von Brauchitsch der Interpretation dieses Gemäldes gewidmet. Besonders interessiert ihn die Komposition, die der Maler auch in anderen Werke angewandt hat. Man wird sie mit genauerem Blick erfassen, wenn man sie von einem Kunstwissenschaftler erklärt bekommt. Überhaupt bekommt man eine größere Perspektive, wenn man von den Lebensumständen des Malers erfährt, seinen Werdegang kennt.
Von Brauchitsch hat Caspar David Friedrich in die Zusammenhänge seiner Zeit gestellt, was auch personell zu verstehen ist. Heute besteht an Friedrichs Größe ja kein Zweifel, aber zu seiner Zeit konkurrierten viele um Aufmerksamkeit und Bezahlung. Auch wenn es in der Gegenwart viel mehr Menschen gibt, die von Kunst leben wollen, die Mechanismen sind ähnlich. Alle sind sie von einem Für und Wider umgeben, vergleichen sich untereinander. Da sind im Buch auch Werke anderer Künstler berücksichtigt. Friedrich musste eine Familie mit Frau und drei Kindern ernähren. Und erscheint dabei als ein In-Sich-Gekehrter, was ihn ja so heutig erscheinen lässt. Wir finden uns wieder in seinen Werken, in unsrem Verlassensein und unserer Sehnsucht.
Allein dieser Himmel: Von düsterem Grau bis zu lichtem Rosa – was für ein Farbenspiel!. Und was für eine Ruhe! Könnte man einen „Mondaufgang am Meer“ heute noch so genießen wie die kleine Gruppe von Menschen 1822? Wünschte man sich nicht, ein „Träumer“ zu sein wie der auf Friedrichs Gemälde von 1835, das in der Ruine von Oybin entstand? Doch Vorsicht: „Kaum ein Werk Friedrichs, das nicht mehrere Deutungen erfuhr, die stets vor allem von der Position des Interpreten erzählen: christlich, gesellschaftskritisch, romantisch, sinnoffen, politisch, metaphysisch. Solchen unterschiedlichen Deutungen hat der Biograf ein ganzes Kapitel gewidmet. Da schränkt er uns nicht ein und verfällt auch selbst nicht in Schwärmerei. Friedrich war zu seiner Zeit auch umstritten. Goethe zum Beispiel bewunderte ihn zunächst, dann lehnte er ihn ab.
Und nach seinem Tode wurde Friedrichs Werk „zum Inbegriff der Romantik“. Zu einem Reservoir, aus dem sich viele bedienten – ob im Sinne des Nationalsozialismus oder der Popkultur, in den Filmen Andrej Tarkowskis oder in den Videoinstallationen des Lichtkünstlers Götz Lemberg.
Boris von Brauchitsch: Caspar David Friedrich. Biografie. Insel Verlag, 318 S., br.,
20 €.