„Wenn schon, dann Kanzler“
„Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi“: Mit Hans-Dieter Schütt im Gespräch über Gott und die Welt
Irmtraud Gutschke
Man stelle sich die beiden – nach einer gemeinsamen Veranstaltung vielleicht – tatsächlich an einer Wurst-Bude vor. Gregor Gysi, von den Umstehenden sofort erkannt, würde sich kaum in Ruhe stärken können. Auch isst er, wie er zugibt, Currywüste nur ein- bis zweimal im Jahr, und Pommes sind ihm zu fett. Aber der Titel des Buches trifft genau, was Hans-Dieter Schütt einen „Versuch in Beiläufigkeit“ nennt. Er hat ja an mehreren Gysi-Büchern mitgearbeitet, beginnend mit der Autobiographie „Ein Leben ist zu wenig“ bis hin zu Gesprächsbüchern mit Friedrich Schorlemmer, Gabriele Gysi, Martin Sonneborn … Und nun hat er sein eigenes, das unter seinen zahlreichen Interviewbänden tatsächlich eine Sonderstellung hat.
Kein Essay in zwei Stimmen, wie er es sonst gerne hart. „Currywurst steht für: Fünf-Minuten-Dialog; für Reaktionsfreude, die nicht jedes Wort auf die Waage legt … Keine vorherige Themenauswahl, sondern spontaner Beginn, spontaner Verlauf. Und Bekenntnis zum Fragment … Nur nicht verklemmen in Ambition …“ So leichthin, wie das Buch daherkommt, ist es ein Kunststück zu nennen. Anregend ist es in der Tat, „wie große und kleine Fragen einander die Hand reichten, als gäbe es zwischen ihnen eine Kameradschaft“. Es ist ja wirklich alles verbunden in einem Menschenleben, bei Gregor Gysi wie bei jedem anderen auch.
„Ich vertraue. Querfeldein“ – an diesen Buchtitel von Martin Walser musste ich denken, als ich das Inhaltsverzeichnis aufschlug. 64 kurze Kapitel – von „Abenteuer“ bis „Zufall, Geschichte“. Aber natürlich nicht alphabetisch geordnet. Alles sollte lebendig bleiben, ungezwungen – in einem Zustand also, der sich beim Lesen überträgt. Schütt weiß wohl selbst nicht zu sagen, wie viele Fragen er sich ausgedacht hat, und lässt es zu, dass wir uns auf die Antworten fokussieren, indem er zurücktritt hinter seinen Gesprächspartner, den wir gut gelaunt und redegewandt vor Augen haben.
„So offen und persönlich wie noch nie“, wirbt der Verlag. Gysi als Kind: Mit drei Jahren wollte er Gepäckträger werden (dazu gibt es eine heitere Anekdote), dann Arzt. Sein Lehrberuf wurde dann Rinderzüchter. Amüsant die Auskunft, wie ihm das heute zupass kommt. Hat er je gekifft? Wie ist das mit dem Rauchen? Wie lebt es sich als Alleinstehender? Was bedeutet Fußball für ihn? Bedrückt ihn das Älterwerden, der Tod? Und auch die „Gretchenfrage“ darf nicht fehlen: Wie hält er’s mit der Religion? Ernste, nachdenkliche Antworten wechseln mit schlagfertigem Witz. Pointierte Sätze, fast schon zum Aphorismus gefeilt. Kunst der Verknappung, damit das Gespräch so schnell bleibt, als würde es wirklich zwischen zwei Bissen geführt.
Und ich habe den Eindruck, als sei ich dabei. Belustigt und bedauernd, nichts zum Notieren dabei zu haben, würde ich den beiden aus einiger Entfernung zuhören, wie sie sich über den Alltag im Bundestag und in der Anwaltskanzlei, über Massenmedien und Wahlkampf unterhalten. Mein Leseexemplar ist voller Merkzettel, und manchmal kamen gar Ausrufezeichen ins Buch. Marx und Engels, Ost und West, politische Fehler bei der deutschen „Vereinigung“ und solche in der Europapolitik, denn der Ukraine-Konflikt bedarf dringend einer diplomatischen Lösung, und immer wieder Überlegungen zu jener Partei, der er so viel von seiner Kraft gegeben hat.
Wie glücklich habe ich im Dezember 1989 vor dem Fernsehapparat gesessen, als Gregor Gysi zum Vorsitzenden der SED gewählt wurde. Genau so einen brauchte es damals wie diesen Rechtsanwalt – rational und freudig entschlossen, keinen Ideologen, wie wir sie schon hatten, sondern einen Vermittler, der praktisch nach gangbaren Wegen sucht. Unaufgeregt und vernünftig äußert er sich auch hier: dass Gesundheit und Kunst nicht gezwungen werden sollen, „sich zu rechnen“, dass öffentliche Daseinsvorsorge, also „Bildung, Energie- und Wasserversorgung, Wohnungen, Mobilität … in öffentliches Eigentum, zumindest in öffentliche Verantwortung gehören“. Dass „die Linke“ aber auch nicht programmatisch „überziehen“ sollte. „Wenn die Linke weiter daran arbeitet, den Leuten nur eine bestimmte und zwar einseitig kritische Haltung zu Deutschland zuzubilligen, leistet sie indirekt einen Beitrag, die Rechtsextremen und Rechtspopulisten zu stärken.“ Auch müsste sie sich, statt innere Meinungsverschiedenheiten auszufechten, um die sozial Schwachen wie auch um die Mittelschicht kümmern. „Die Steuerlast hierzulande ist nicht gleichmäßig verteilt. Alles bezahlt die Mitte! … Die Bürde der Mitte kann nur überwunden werden, wenn die wirklich Reichen und Vermögenden, die großen Konzerne und Banken, angemessen herangezogen werden.“
Diese Partei hat in Deutschland eine Menge geleistet. Für ihre derzeit miserable Position werden Historiker irgendwann objektive und subjektive Gründe zusammentragen. Gregor Gysi, habe ich den Eindruck, ist vorsichtig, um seinen Genossinnen und Genossen ja nicht auf die Füße zu treten. Von denen manche, auch das ist nur eine Mutmaßung, statt sich hinter ihn zu stellen, ihm seine Popularität auch neiden. Das eigene Ego wehrt sich gegen fremdes Charisma.
Dass er „weiter glänzen möge“, wünscht ihm Hans-Dieter Schütt. „Denn so viel glänzt nicht im Politikbetrieb …“ Einmal fragte er ihn, ob er gern Außenminister wäre (in der Tat stelle ich mir vor, dass er besser aufs diplomatische Parkett passen würde als andere). „Nein, dafür ist mein Englisch zu schlecht“, lacht er. „Wenn schon, dann Kanzler.“
Gregor Gysi/ Hans-Dieter Schütt: Auf eine Currywurst mit Gregor Gysi. Aufbau Verlag, 299 S., geb., 22 €.