Reisen im Kopf
Von Irmtraud Gutschke
Dieses Buch führt nicht auf die Balearen, Kanaren, Malediven, nicht auf die Trauminseln der Deutschen, sondern dorthin, wo sie wohl nie hinkommen werden. Die Einleutung hat Alastair Bonnett in Nuku’alofa, der Hauptstadt des Königsreich Tonga, geschrieben. Dieses besteht aus 170 Inseln, viele unbewohnt, viele auch mit herrlich weißen Sandstränden. Also könnten deutsche Touristn doch schon dorthin gelangt sein. Aber Bonnett will nicht mit Reisetipps locken. Er ist Professor für Sozialgeographie, beschäftigt sich also mit Gesellschaft und Raum, und lebt in Newcastle upon Tyne, wenn er nicht gerade wieder auf Reisen ist. Und von diesen Erkundungen weiß er auf eine persönliche, mitreißende Weise zu erzählen.
Ich konnte mir vor der Lektüre zwar vorstellen, dass Inseln aus den verschiedensten Gründen untergehend, wusste aber nicht, dass sie in großer Zahl auch künstlich geschaffen werden. Ein ehrgeiziges Projekt war „The World“ in Dubai. Für den Autor wirkte es vom Flugzeugfenster aus wie eine Weltkarte. Was die Vision von Scheich Mohammed mit dm Österreicher Josef Kleindienst zu tun hat, einst Polizist und heute Immobilienentwickler, man liest es mit Staunen. „Sechs Gebiete sind gerade im Bau Schweden, Deutschland, das europäische Festland, die Schweiz, die herzförmige ‚Flitterwochen-Insel‘ St. Petersburg und das schwimmende Venedig.“ Zusammen sollen sie ein Ressort der Luxusklasse bilden.“ Wussten Sie, dass es solche künstlichen Paradiese zunehmend auch in China gibt? Der Autor ist auf Phoenix Island gewesen und als „Westler“ durchaus aufgefallen. Leicht ironisch hat er sein Befremden in einem 7-Sterne-Ressort beschrieben.
Ocean Reef in Panama: Die Werbefotos zeigen fast nur junge, gut aussehende Weiße, obwohl drei Viertel der Bevölkerung Mestizen sind. Es wundert uns nicht, Es ist der Gegensatz zwischen Arm und Reich, der hier sinnfällig wird. Die Kehrseite: Müllinseln. „Plastik bracuht zwischen fünfhundert und tausend jahren, bis es sich abbaut, und produzieren jedes Jahr Abermillionen Tonnen davon. Die Folge: Müllteppiche im Meer.
Der Anstieg des Meeresspiegels bedroht Küstenstädte und Inseln. Auf einigen davon ist Bonnett gewesen. Eindrücklich führt er vor Augen, was der Klimawandel für Mensch und Natur bedeutet. Hinzu kommen Orte, die durch Atomtests zerstört oder unbewohnbar wurden, wie die Marshalinseln im Pazifik Eine davon, Runit, dient als Lagerstätte für 73 000 Kubikmeter radioaktiven Abfall. Die Guinard-Insel an der Westküste Schottlands ist von Großbritannien zu Versuchen mit Milzbranderregern genutzt, und auch dei Sowjetunion betrieb bis 1991 auf zwei Inseln im Aralsee ein Testgelände für biologische Waffen.
So viele interessante Einzelheiten. Aus vielen, ganz verschiedenen Inseln formt sich ein Bild der Welt.
Alastair Bonnett: Das Zeitalter der Inseln. Von untergehenden Paradiesen und künstlichen Archipelen. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C. H. Beck Verlag, 246 S., geb., 23 €.