Mit Kafka von Kneipe zu Kneipe
Irmtraud Gutschke
Es wird viel getrunken in diesem Buch. Was soll man auch machen, wenn die Straßen wie leergefegt sind und man allein ist in dieser schönen Stadt. Ist Jaroslav Rudis wirklich an einem Weihnachtsabend in Prag gewesen oder hat er sich das nur vorgestellt? Jedenfalls fühlen wir uns – nein, nicht direkt an seiner Seite, denn da hat er schon andere Begleiter -, aber in seiner Nähe. Wir laufen in einem Abstand hinter ihm her durch den Schnee, und die alten Gaslaternen leuchten an diesem Abend besonders schön. Hinter erleuchteten Fenstern erblicken wir Leute, die einander beschenken. Die Bilder des Comiczeichners Jaromir 99 lassen uns diese besondere Stimmung spüren. „Im Nebel sehe ich die Prager Burg. Ganz in der Ferne und doch so nah. Ich schaue in das schwarze Wasser. Auch auf der Brücke wird es langsam dunkel. Doch dann kommt im Nebel ein Licht auf mich zu …“
Das ist nicht etwa ein Weihnachtsengel, sondern ein Mann mit leuchtendem Kopf. „Das passiert mir immer am Heiligabend“, sagt er. „Das ich leuchte. Dass mir so warm ist. Ich weiß nicht, warum … Ich heiße Kavka. Doch alle sagen Kafka zu mir … Der Name ist mein Fluch.“
Aber wieso denn, Kafka wurde in Prag geboren. Vieles in der Stadt ist mit ihm verbunden. Wer das Reisetagebuch „Kafka in Prag“ von Klaus Wagenbach gelesen hat , kennt seine Wege zur Schule und zur Universität, weiß, in welche Cafés, Kinos und Buchhandlungen er gerne ging. Kafka (Kavka) im Buch, Rudis‘ melancholischer Begleiter, meint, dass er den letzten Atemzug des Dichters gehört hat, obwohl der in Kierling bei Wien gestorben ist. Er hat gespürt, wie Jaroslav Hasek, der „Vater“ des „braven Soldaten Schwejk“, mit nur 39 Jahren einer im Krieg zugezogenen Tuberkulose erlag und wie Bohumil Hrabal sich aus dem fünften Stock eines Krankenhauses in die Tiefe stürzte. „Hier sieht man sich wieder auf dieser Eisenbahnbrücke. Hier verwandeln sich Dichter in Vögel. In Tauben, in Krähen in Möwen, manchmal auch in Turmfalken. Und hier treffen sie sich, am Wasser unter der Brücke …“
Verzauberte Nacht. Die Moldau glänzt im Licht der Laternen, und Schneeflocken tanzen. Ein toter Karpfen liegt in seinem Blut. Zwei andere werden gekauft und freigelassen. Und dann stößt noch ein dritter Mann zu den beiden: der „König von Prag“, ein berühmter Einbrecher wohl, der der Polizei an diesem Abend verspricht, recht brav zu bleiben. Und eine schöne Italienerin kommt ins Spiel …
Man liest und fühlt sich wie in einem phantastischen Film. Zu Weihnachten durch Prag spazieren? Dieses Jahr klappt es nicht. Holen wir es im nächsten Frühling nach.
Jaroslav Rudis: Weihnachten in Prag. Illustrationen von Jaromir 99. Luchterhand, 91 S., geb., 16 €.
