Die wunderbare List der Schahrasad
„Tausendundeine Nacht. Das Buch der Liebe“ in einer Erstübersetzung von Claudia Ott
Irmtraud Gutschke
„1001 Nacht“ gibt es in vielen Ausgaben. Als Stoff für Filme, Opern, Operetten, die sinfonische Dichtung „Scheherazade“ von Nikolai Rimski-Korsakow nicht zu vergessen. Selbst diverse Parfümöle dieses namens dürfen nicht fehlen. Die Rede ist von indischen Ursprüngen dieses Werks aus der Zeit um 250. Dann kam es ins Persische, wobei Geschichten hinzugefügt wurden, und etwa im 8. Jahrhundert ins Arabische, wobei wiederum manches hinzukam, das dann Schahrasad in den Mund gelegt wurde. Jeder weiß: Sie erzählte Geschichten um ihr Leben. Sultan Schaheiyar war so verletzt durch die Untreue seiner Frau, dass er sie töten ließ. Fortan wollte er jeden Abend eine neue Frau heiraten, um sie am nächsten Morgen umzubringen. Schahrasad, die Tochter seines Wesirs, will das Morden beenden und geht freiwillig ein großes Risiko. Dabei hatte sie eine geniale Idee. Früher glaubte ich, dass sie dem Sultan ihre Märchen im Bett erzählt. Aber wäre er nicht zhu müde, würde er ihre List nicht durchschauen? Aber aus der Übersetzung von Claudia Ott erfahre ich, dass sie ihre Schwester mit ins Brautgemach nahm (wie ging das eigentlich?) und ihr, kurz bevor der Morgen graut, eine Geschichte erzählte, die dann an einem spannenden Punkt abbrach. Weil der Sultan die Fortsetzung erfahren will, lässt er sie erst einmal am Leben.
Wobei man sich vorstellen kann, wie ihr Leben immer an einem seidenen Faden hing. Das wird in diesem Buch umso besser nachvollziehbar, weil Claudia Ott die Unterbrechungen aus dem Original übernimmt, statt, wie in vielen populären Ausgeben, die Geschichten in Gänze nachzuerzählen. „Da erreichte der Morgen Schahrasad, und sie hörte auf zu erzählen.“ So geht es über viele Nächte, so dass sich die Geschichte „Kamarassaman und Budur“ über 200 Seiten hinzieht und „Sul und Schumul“ über 181. Wohingegen „Alischar und Sumurrud“ (davon ließ sich Pasolini inspirieren) – er ist ein Christ, sie eine Muslimin – und „Ibrahim und Dschamila“ ohne Unterbrechungen auskommen. Wie viele Schrecken sind da zu überstehen, bis sie verheiratet werden!
„Aus den ältesten arabischen Manuskripten erstmals ins Deutsche übertragen“, so wirbt der Verlag für diesen repräsentativen, mit wunderschönen Kalligraphien geschmückten Band, der unter allen lieferbaren Adaptionen etwas Herausragendes ist. So genau die Übersetzerin dem Duktus des Original folgen wollte (was der Islamwissenschaftler und Übersetzer Stefan Weidner in seinem Band „1001 Buch“ lobend hervorhebt) , so viel Wert legte sie zugleich auf ein klares, lebendiges Deutsch, das die Lektüre zu einem großen Vergnügen macht.
Es war und ist Unterhaltungsliteratur vom Feinsten. Damit Schahrasad am Leben blieb, mussten die Geschichten „die Bedingung erfüllen, spannend und aufregend zu sein“, schreibt Claudia Ott im Nachwort. „Insofern ist es wenig erstaunlich, dass in Tausendundeiner Nacht so oft von der Liebe erzählt wird.“ Von der Übersetzerin ist ja 2018 bereits ein Buch „Tausendundeine Nacht“ herausgekommen, die auf alle Übermalungen, Ausschmückungen und Prüderien verzichtet, welche dem Werk in den letzten Jahrhunderten aus europäischer Sicht hinzugefügt wurden. Bei dieser Auswahl nun – es kann ja immer nur eine Auswahl sein – geht es explizit um das Thema Liebe. Was ich noch nicht wusste: Für das Wort „Liebe“ gibt es im Arabischen an die 70 Synonyme. Entsprechend finden sich hier „poetische Romanzen, erotische Fantasien, abenteuerliche Seitensprüngen, ungleiche Verbindungen zwischen Dschinnen und Menschen, unglückliche Liebesverhältnisse, die mit dem Liebestod enden, oder verbotene im Stile von Romeo und Julia, und sogar ein Mysterienspiel mit der Unterweltsfahrt der Liebenden, das an Mozarts Zauberflöte oder an den Mythos von Orpheus in der Unterwelt denken lässt“.
Wie sich hier indische, persische und arabische Quellen verbinden, so sind hier also auch Bezüge zur europäischen Literatur zu entdecken, und nicht nur das: Diese „Märchen“ sind Weltliteratur von ihrer Entstehungsgeschichte bis hin zu ihrer Wirkung.
Tausendundeine Nacht. Das Buch der Liebe. Aus den ältesten arabischen Manuskripten erstmals ins Deutsche übertragen von Claudia Ott. Verlag C.H.Beck, 543 S., geb., 32 €.