Ein diffuses Gefühl von Gefahr
Sabine Haupt: Ihr Roman „Lichtschaden. Zement“ ist kunstvoll, spannend und zuweilen rätselhaft
Von Irmtraud Gutschke
Irgendwann im Roman kommt das Wort „Puzzle“ vor. Das trifft es tatsächlich. Der Beginn bildet mit dem Schluss eine Klammer. Dazwischen Zeitsprünge und Perspektivwechsel. Aber es sind eigentlich nur zwei Personen, bestenfalls drei, denen man beim Lesen zu folgen hat: Hella, einer smarten, etwa 50-jährigen Hotelmanagerin und deren 38-jährigem Geliebten, dem ehemaligen Priester Raffaele. Dessen älterer Bruder Angelo, glaubt an Teufel und Dämonen und flieht gegen Schluss aus der Psychiatrie.
Raffaele hat während eines Gottesdienstes einen Zusammenbruch erlitten und arbeitet inzwischen in einer Zementfabrik, in der Beunruhigendes im Gange zu sein scheint. Ein Komplott? Geht es gar um eine Mauer durchs Mittelmeer, unüberwindbar für Flüchtlinge? Aber ich will hier nicht zu viel verraten, weil der Roman von Sabine Haupt von Geheimnissen lebt. Damit schafft sie tatsächlich Spannung. Man legt das Buch nicht weg, auch wenn die Dispute zwischen Hella und Raffaele über Körper und Seele, so tiefsinnig sie sind, im Moment etwas anstrengend sind. Hier trifft offenbar eine sachlich pragmatische, willensstarke Frau auf einen Mann, der, religiös motiviert, in höheren Gefilden schwebt, aber in der Tiefe auch manches hat, das er selber nicht versteht. Die Schreie seines Vaters in der Nacht, die Verstörtheit des älteren Bruders – vor all dem ist er in den Katholizismus geflohen. Dass da etwas Dunkles in der Vergangenheit aufzuklären ist, gehört zu Spannung des Buches. Und auch Hella hat ihre Familiengeheimnisse.
„Wir beide sind gefallene Engel“, hatte Angelo zum Bruder gesagt, der indes auch von diversen Albträumen verfolgt wird. Wer mutmaßt, dass diese schlimmen Bilder mit Vergangenem zu tun haben, liegt richtig. Wobei die Übergänge zwischen Realem und Phantastischem fließend sind in diesem Roman. „Sind Sühne und Gerechtigkeit überhaupt möglich?“, fragt Hella. Wir werden keine Antwort finden. Ihre Pläne, die Welt zu retten, bezahlt Raffaele mit dem Leben. Bei Recherchen in einem unterirdischen Stollensystem, wird er mit einer unbekannten Substanz infiziert. Ist in den weißen Säcken, die dort von einem Roboter bewacht wurden, tatsächlich nur Zement gewesen?
„Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Vernichtung von Menschen und dem Raubbau an der Erde?“, heißt es im Klappentext zu diesem Roman, der im Schweizer Oberwallis spielt. „Ich versuche, alles zu verbinden: das Politische, das Humanitäre, das Ökologische, das Mann-Frau-Thema“, sagte die Autorin, die zugleich Professorin für vergleichende Literaturwissenschaft ist, jüngst in einem Interview. Eine diffuses Gespür von Gefahr liegt über dem Roman. Die trifft ein Zeitgefühl. Dabei ist noch nicht einmal gesagt, dass die Zementproduktion jedes Jahr mehr Klimagas verursacht als die gesamte Luftfahrt.
Sabine Haupt: Lichtschaden. Zement. Roman. Verlag Brotsuppe, 315 S., geb., 33 €.