Kerstin Hensel: „Regenbeins Farben“ über Alter und Sehnsucht, Einsamkeit und Kunst
Seejungfrauen, Trauerwölfe
Von Irmtraud Gutschke
Verlagsankündigungen sind Marketingversprechen. „Herrlich amüsante Verwicklungen nehmen ihren Lauf“, heißt es im Klappentext. Amüsant? Oberflächlich gesehen ja. Zunächst wirkt die Konstellation ja, wie für ein Kammerspiel gemacht. Drei alternde Schauspielerinnendürfen sich auf Paraderollen freuen. Und der Mann, um den sich alles dreht? Auch nicht mehr jung, muss er den Scheuen, Zurückweichenden geben und darf, den Irritationen des Publikums zum Trotz, nicht offenbaren, was in ihm vorgeht. Eine Konstellation, die an „das Urteil des Paris“ erinnert, nur mit sehr viel älteren Protagonisten. Genau gesehen, wäre sie auch dramatisch genug mit nur einer weiblichen und einer männlichen Rolle. „Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu…“, wie es bei Heinrich Heine heißt. Das heißt, wenn man sie heute erzählen will, muss man sich was einfallen lassen.
Kerstin Hensel ist es gelungen. Man amüsiert sich tatsächlich, weil es eine Menge Situationskomik gibt. Dann wieder überwiegt das Mitgefühl mit den drei Witwen, die sich hin und wieder auf einem Berliner Friedhof treffen. Die jüdische Kunstwissenschaftlerin Ziva Schlott, über achtzig, hat nicht mehr lange zu leben. Die Industriellengattin Lore Müller-Kilian, fast zehn Jahre jünger, versauert in ihrem Luxus. Und die Malerin Karline Regenbein, die jüngste der drei, würde gern nicht mehr allein sein mit ihrer Kunst. Vom Alter her würde der Galerist Eduard Wettengel zu ihr passen. Doch, mit den Damen schon aus früheren Zeiten bekannt, taugt er, wie gesagt, immer nur kurzzeitig als Stütze. Machen sich die Frauen da nicht lächerlich mit ihren Annäherungsversuchen? Wie ärgerlich eigentlich ist dieses Klischee, das aus einer über Jahrhunderte männlich geprägten Wahrnehmung kommt! Tattergreise und junge Frauen – da gibt es viel Verständnis, zumal wenn erstere reich sind.
Die vier handelnden Personen haben ihre ost-westdeutschen Lebensgeschichten. So viel Erfülltes es darin geben mag, das Unerfüllte bleibt doch bis zum Schluss. Das vereint die so unterschiedlichen Charaktere. Nicht von ungefähr spielt das Buch über weite Strecken auf einem Friedhof. Dort werden Blumen gepflanzt und Trauerwölfe treten aus den Büschen. „Um Gottes Willen! Wie siehst du aus? Bist Du gestürzt?“, sagt Eduard zu Ziva. „Ja in den Jungbrunnen!“, antwortet die. „Das Dumme nur, es war kein Wasser drin.“ Lore schenkt sich Champagner ein, und Karline wird immer noch vom Schatten ihres verstorbenen Mannes drangsaliert. In kurzen Abständen donnern Flugzeuge über die Szenerie. In die Ferne reisen, um dem Tod zu entkommen? Was alles haben sich Menschen zu diesem Zwecke ausgedacht!
Auch die Kunst gehört dazu. Welches Glück, wenn schöpferische Augenblicke ins Unendliche weisen. Karline Regenbein – die heimliche Hauptfigur der Novelle – darf davon kosten. „Regenbeins Farben“ – der Buchtitel bezeichnet eine Ausstellung, die in Wettengels Galerie vorbereitet wird. Die Farben legen sich über den poetischen Text. Schimmerndes Olivgrün für den Hintergrund eines cyanblauen Meeres, in dem drei Seejungfrauen einen Meergott umkreisen. Auch sich selbst hat die Künstlerin dabei ins Bild gebracht. „Die Bilder sind Ihnen fremd? Sie rätseln an ihnen herum, obwohl Sie glauben, etwas zu erkennen? Kunst lehrt uns, die Wirklichkeit verstehen, indem wir sie verlassen. Begeben Sie sich in diese Nebenwelt mit ihren Extremen Gestalten, verstiegenen Ideen, zartesten Empfindungen, brutalster Zurückweisung, vollendeter Schönheit und Hässlichkeit. Zumutungen sind es, denen wir uns aussetzen müssen, um uns zu verändern.“ – so schöne Worte Ziva Schlott auch auf der Vernissage findet, die Veranstaltung misslingt einer jugendlichen Performance wegen.
Kerstin Hensel: Regenbeins Farben. Novelle. Luchterhand, 253 S., geb., 18 €.