Lebe deinen Traum!
Irmtraud Gutschke
Ein Roman von 1988, 1991 erstmals auf Deutsch erschienen: „Der Alchimist“ des brasilianischen Bestsellerautors Paulo Coelho, dessen Bücher, in 88 Sprachen übersetzt, über 320 Millionen Mal verkauft wurden. Diogenes kann sich freuen, ihn mit immer wieder neuen Werken im Programm zu haben. Dass „Der Alchemist“ jetzt eine Neuauflage erfährt, liegt wohl an den Bildern von Christoph Niemann, die allein schon ein Erlebnis sind. Eine riesige Mondsichel und davor eine Palme – so beginnt es. Geheimnisvoll. Mysterien sind, bevor sie enträtselt werden (ist das überhaupt möglich), erst einmal anzuerkennen. Wunder können geschehen, wenn wir an sie glauben.
Die wegweisende Macht des Traums – ein uralter Erzählstoff. Wer Coelho liest, stellt sich auf die Macht des Märchens ein. Was Christoph Niemann gemalt hat, ist auch wirklich märchenhaft. Die Absicht aber liegt nicht einfach nur im phantastischen Fabulieren, wobei dies ja auch gekonnt sein will, sondern noch in einer ganz anderen Gabe, die der Schriftsteller für seine Leserinnen und Leser bereithält: Lebensweisheit – und die wieder nicht in einem ernüchternden, sondern in einem ermutigenden Sinne.
Ein junger Hirte namens Santiago hat einen seltsamen Traum: Bei den ägyptischen Pyramiden würde er einen Schatz finden. Verrückt, sich dorthin auf den Weg zu machen? In gewisser Weise schon. Es ist eine lange Reise mit vielen, vielen Hindernissen und Gefahren. Was wiederum Zweifel weckt, ob sie nicht irrwitzig und letztlich ergebnislos sein wird. Genau darin besteht Paulo Coelhos Anliegen: dass wir lernen sollen, Zweifel und Schwächen zu überwinden, um unserer Bestimmung zu folgen. Dass jedem Menschen schon mit seiner Geburt eine Bestimmung mitgegeben ist, davon ist der Schriftsteller überzeugt, und genau diesen Glauben will er weitergeben.
Man mag das esoterisch nennen und irrt sich darin wohl nicht. Aber erstens bietet dieser Roman mitreißende, spannende Lektüre, atmosphärisch dicht und voller Phantasie. Aber zu den schönen Lesestunden schenkt er uns noch mehr: Ermutigung, die wir in diesen Zeiten umso nötiger brauchen. „Die Entscheidungen waren nur der Anfang von etwas. Wenn man einen Entschluss gefasst hatte, dann tauchte man damit in eine gewaltige Strömung, die einen mit sich riss, zu einem Ort, den man sich bei dem Entschluss niemals hätte träumen lassen.“
So wie der titelgebende Alchimist im Roman Santiago zeigt, wie aus Blei Gold gemacht wird, wird hier eine Verwandlung beschrieben: Was zunächst nur ein Traum ist, wird real durch Santiagos Beharrlichkeit. Paulo Coelho meint tatsächlich, dass man im Einklang mit der „Weltenseele“ sei, wenn man dem Weg folgt, „den Gott für jeden Einzelnen hier auf Erden gewählt hat“. Da werden viele ungläubig lächeln, und dennoch wird es ihnen gut gehen mit diesem Buch.
Paulo Coelho: Der Alchimist. Roman. Mit Zeichnungen von Christoph Niemann. Diogenes Verlag, 218 S., geb., 20 €.