Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Monika Maron: Artur Lanz

Etwas ändert sich tatsächlich

Monika Maron: Was ihr auf der Seele liegt, hat sie in einen Roman gebracht

Von Irmtraud Gutschke

Romane wachsen aus Geschichten, die sich erzählen — am besten aus sich selbst heraus. Sie leben von Gestalten, die uns lebendig erscheinen, und dabei natürlich auch von dem, was der, dem Schreibenden auf der Seele liegt. Da tendiert vorliegendes Buch eher zur Meinungsäußerung. Monika Maron brauchte einen Grübler namens Artur Lanz für ihre Gedanken und Befindlichkeiten, ihre Fragen und Befürchtungen. Wenn dies ein ästhetischer Mangel sein könnte, tritt dies bei der Lektüre in den Hintergrund, weil man hineingezogen wird in Debatten, die man wohl kennt, die sich hier aber auftürmen und verknoten, so dass man sich die ganze Zeit dazu ins Verhältnis setzen muss.

Artur Lanz: ein Stichwortgeber, zu Beginn des Romans angesprochen von einer Schriftstellerin, die einen Roman schreiben will. Sie nennt sich Charlotte Winter, was künstlich wirkt, denn ihre persönliche, emotionale Art der Auseinandersetzung gehört doch ganz und gar zu Monika Maron. Immer wieder liest man Autobiografisches heraus, insbesondere die DDR-Erfahrungen der Ich-Erzählerin betreffend. Die Maskierung wurde indes gebraucht, weil das Buch nicht ohne erfundene Situationen und Gestalten auskam, um die Gedanken zu transportieren, die der Autorin wichtig waren.

Artur Lanz würde gern so heldenhaft männlich erscheinen, wie es seine Mutter für ihn erträumte. König Artus und Lancelot hatte sie sozusagen im Namen ihres einzigen Sohnes vereint. Eine romantische Sehnsucht nach dem Ritterlichen – wohin damit in dieser „postheroischen“ Zeit? Dass im Gewinnen immer auch ein Verlieren steckt – solch abgeklärte Aussage würde nicht passen zur Erregung der Gestalten, die schließlich hier und jetzt nur einmal leben. Und, dieses Gespür liegt der Erregung zugrunde, die eben nicht mehr alles vor sich haben, denen das Altern zusetzt. Der „Abschied von der öffentlichen Bedeutung“, sinniert Charlotte Winter, würde sich bei Frauen immerhin in Etappen vollziehen, während es für viele Männer ein Absturz ist. Zudem seien Kraft, Mut, Entschlossenheit, seit alters her dem Männlichen zugeschrieben, in Verdacht geraten durch deutsche Vergangenheit. Die „weibliche Selbsterhöhung“ brachte notwendige Emanzipation. Indem sie längst schon eine Männergeneration prägte, meint Monika Maron, hat sie Frauen aber bei aller Genugtuung auch enttäuscht („entmachtet, entmannt“). Trotzdem, ist einzuwenden, sind die Zeiten längst nicht vorbei, dass Frauen sich gegen Unterdrückung und Geringschätzung (die sich auch in der Bezahlung ausdrückt) wehren müssen.

Immer wieder greift Monika Maron auf diese Weise in laufende Auseinandersetzungen ein, umso vehementer, weil sie sich auch selbst mitunter wie in einem kolossalen „Erziehungsprogramm“ fühlt. Aus ihrer DDR-Erfahrung heraus glaubt sie, „ein feineres Gehör für falsche Töne und manipulative Propaganda“ zu haben, wie es auch Artus‘ Freund, den Thüringer Gerald, auszeichnet. Auf Facebook hatte er Kohlendioxid als Ursache des Klimawandels bezweifelt und abschätzig von einem „Grünen Reich“ gesprochen. Damit weckt er Empörung, zumal sein Institut von der Beschichtung für Windkraftanlagen lebt. Die Sache kocht hoch, als der Begriff später auf „Spiegel online“ vom „Vizechef der Rechten Partei“ gebraucht wird. Nun ist Gerald abgestempelt und fast schon in eine Ecke gedrängt, in die er nie wollte. Obwohl er die Besserwisserei des Freundes nicht teilt, die Art, wie nun mit ihm umgegangen wird, weckt Arturs Widerstand. „Mit dem Fahrrad über die Skipiste“ – ja manchmal, so will Monika Maron uns sagen, ist dies unumgänglich um der eigenen Gedankenfreiheit willen.

Ist diese Gedankenfreiheit eingeschränkt? Ist die Parallele zur DDR legitim, als Monika Maron ihren Debütroman „Flugasche“ nicht veröffentlichen durfte, der 1981 im S. Fischer Verlag erschien? Die zunehmende politische Entfremdung war der Grund, dass sie 1988 mit einem Drei-Jahres-Visum in den Westen ging. Mit dem Nimbus der Dissidentin, der mit dem Beitritt der DDR zur BRD an Strahlkraft verlor. Seitdem hat sie viel über diesen Umbruch nachgedacht, hat in ihren Büchern Bilanz gezogen für sich selbst, sich immer wieder neu zu verorten versucht in ihrem Leben. Das Ich und die Ideologie: Tatsächlich musste man in der DDR lernen, eines dem anderen gegenüberzustellen. Wenn auch nicht laut gesagt werden durfte, dass man sich der hierarchischen Struktur einer Funktionärselite gegenübersah, konnte die marxistische Formel „Staat als Machtinstrument der herrschenden Klasse“ von jeglicher Illusion befreien. Auch für spätere Zeiten.

Die DDR, politisch im sowjetischen Imperium verankert, ökonomisch oft genug mit dem Rücken zur Wand und umso mehr angewiesen auf ideologische Stabilität (wenn auch nur als Chimäre), suchte kritische Meinungen zu unterdrücken. Was sich rächte. Nicht nur Monika Maron hat die westliche Meinungspluralität als befreiend, beglückend empfunden. Nun hat sie das Gefühl, es könnte sich etwas ändern, ob das stimmt oder nicht. „Ist es nicht auch ein Recht, Unrecht zu haben?“, fragt sie sich und spricht Seiten später von einer „Transformation“, die sie ängstigt.

Etwas scheint sich tatsächlich zu ändern. Die Corona-Krise war nur der letzte Auslöser dafür. Viele spüren es, Monika Maron hat es zur Sprache gebracht. Je instabiler gesellschaftliche Zustände werden, umso rigider die Versuche, Balance zu halten, sich abzugrenzen. Auch was den einzelnen betrifft. Der Ton in öffentlichen Debatten wird schärfer, als ob man etwas für sich verteidigen oder erkämpfen müsste. Und dabei befindet man sich gleichsam auf einer glatten, kurvenreichen Strecke, mehr als vordem im Ungewissen, was die Zukunft der Welt betrifft. „Mit dem Fahrrad über eine Skipiste“ – damit benennt Monika Maron den verzweifelten Wagemut von Artur und Gerhard. Aber das Bild ist doppeldeutig, trifft auch ein Zeitgefühl, das hinter der Lähmung lauert.

Monika Maron: Artur Lanz. Roman. S. Fischer Verlag, 220 S., geb.,
24 €.

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