Fremdheit überall
Von Irmtraud Gutschke
Auf Seite 200 sucht Mathildes Vater Georges seinen Schwiegersohn Amine mit Bier abzufüllen. Das war wohl seine Art, irgendwie Freundschaft zu schließen. „Gott weiß, dass ich weder etwas gegen Afrikaner noch gegen die Leut deines Glaubens habe. Im übrigen habe ich keine Ahnung von Afrika, falls dich das interessiert.“ Amine war übel, und es war zudem seine Hochzeitsnacht.
Amine Belhaj ist ist Marokkaner, Offizier im Dienst der französischen Armee. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ist er mit seinem Regiment in einem Dorf im Elsass stationiert, wo sich Mathilde in ihn verliebt. Sie heiraten, er nimmt sie auf seine Farm bei Meknès am Fuß des Atlas-Gebirges zurück. Wie sie von Meknès 25 Kilometer auf einem Eselskarren fahren, damit beginnt der Roman. Dessen Titel verrät uns schon: Es wird um Fremdheit gehen im „Land der Anderen“, das für Mathilde Marokko ist und für Amine Frankreich. Im Krieg, als Männer aus Frankreich und aus den Kolonien Seite an Seite kämpften, hatte es eine Illusion der Gleichheit gegeben, die schnell wieder zerbrach. Aber auch Mathilde ist eine Fremde, dort, wo es sie mit ihrem Mann nun hin verschlägt. Sie blond, er dunkelhäutig und einen guten Kopf kleiner als sie – die Einheimischen akzepotieren sie nicht, und in Frankreich wäre es letztlich nicht anders. Mit Afrika verbanden die Männer im französischen Dorf „Vorstellungen von barbusigen Frauen, Männern mit Lendenschurz, Farmen, die sich inmitten tropischer Vegetation erstreckten, so weit das Auge reichte.“
Die Autorin macht deutlich, dass es nicht nur die unterschiedlichen Realitäten, sondern auch die Vorstellungen davon sind, die Menschen trennen. Wobei Trennlinien ebenso zwischen den sozialen Klassen und zwischen Männer- und Frauenbildern bestehen. Hätte man erwartet, das Georges seinen Schwiegersohn ermuntert, seiner Tochter auch einmal eine Tracht Prügel zu verpassen? Offensichtlich stimmen heutige Vorstellungen auch nicht mit der damaligen Wirklichkeit im Elsass überein. Für all dies hat Leila Slimani ein feines Gespür und sie versteht, mitreißend, packend zu erzählen.
„Das Land der Anderen“ hat einen autobiographischen Hintergrund. Mathilde und Amine sind ihre Großeltern, deren Tochter Aicha ist ihre Mutter. Von ihr, die in Scham über ihre Herkunft aufwächst, soll der zweite Band der Trilogie handeln.
Leila Slimani: Das Land der Anderen. Roman. Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand Verlag, 379 S., geb., 22 €.