Einfach zauberhaft!
Irmtraud Gutschke
Mir muss man eigentlich nicht erzählen, dass ein Haus eine Seele hat. Als ich das unsere das erste Mal betrat, sprach es mir unhörbar ins Gewissen. Wenn du jetzt weggehst, wirst du es bereuen. Denn da waren die Marmorböden, der Kamin und vor allem die Palme im Garten, die allerdings im Winter eine Einhausung braucht. Das Haus, von dem Jaqueline Kornmüller erzählt, ist 140 Jahre alt, also lebensklug, nicht so aufgehübscht wie meins, dafür geduldig und langmütig. Verkauf das Haus, bekommt die Ich-Erzählerin immer wieder zu hören, aber schon auf der ersten Seite dieses Büchleins ahnen wir, dass daraus nichts werden wird.
Das Haus wird es nicht erlauben.
Einfach zauberhaft ist dieses Buch! Schon auf den ersten Blick. Leuchtendes Grün auf dem Umschlag. Magisch die Pflanzen und Tiere, die das Haus umlagern, ja eigentlich beschützen. Und der Goldschnitt ist ein Signal des Verlags: Dieses Buch wird wertschätzt, seht es euch an. Das liegt natürlich auch an der Illustratorin Kat Menschik, die bei Galiani Berlin geliebt wird, gibt sie doch dort eine eigene Reihe „Lieblingsbücher“ heraus, jedes auf eine ganz besondere Weise gestaltet. 17 Bände sind es inzwischen: Kafka, Shakespeare, E.T.A. Hoffmann, E.A. Poe, Asta Nilsen bis hin zu Volker Kutscher und Tschingis Aitmatow. Eine bunte Mischung, zu der auch Alexander Puschkin gehört, der im Juni seinen 225. Geburtstag feiert. Und kein Verlag hat dieses Jahr an ihn gedacht!
Dass auch Kat Menschik ein geliebtes Feldsteinhaus auf dem Lande besitzt, mag mit dazu beigetragen haben, dass sie sich in Jaqueline Kornmüllers Text verliebte. Wobei sich beide schon vorher kannten. Jaqueline Kornmüller ist nämlich von Haus aus Regisseurin und hat „Die unheimliche Bibliothek“ von Haruki Murakami auf die Bühne des Wiener Odeon Theaters gebracht. Mit Kat Menschiks Illustrationen wohlgemerkt. Da war allgemeine Aufmerksamkeit gewiss.
Die Bilder zu diesem Band führen etwas vor Augen, das ich auch gut kenne: Liebe zum Detail, welche die Dinge „frei“ sein lässt. Das heißt, sie breiten sich aus, raumgreifend, sich keinem Konzept unterordnend. Es stört sie nicht, dass zwischen ihnen vielleicht Staub gewischt werden müsste. Und auch der Garten hat sein Eigenleben mit Pflanzen, Vögeln, Insekten in berückendem Farbenspiel.
Ein Anwesen mit Geschichte und Charakter also. Während wir lesen, kriecht es in uns hinein, sodass wir mit seinen Augen auf diejenigen schauen, die es kaufen wollen. Ach du lieber Himmel, was sind das bloß für Leute! Da schaut „ein Beamter aus dem Innenministerium das Bad an und das Bad sah den Mann an, und beide waren schockiert voneinander. Fast hatte ich das Gefühl, das Bad würde gleich rülpsen, so schockiert war es.“
Wie herrlich ironisch und wie treffend! Nach dem „Innenministermann“ erscheint die Managerin eines Campingplatzes, die Halt für ihr Leben sucht. „Sie hatte ihren „Mann im Gepäck, der so viele Fragen stellte wie keiner vor und keiner nach ihm.“ Dann kommt ein Diamantenhändler. Augenblicklich rief er beim Haus eine Aversion hervor. Im folgenden zwei Frömmler, auf der Suche nach „einem religiösen Ort“, ein Herr Kalander mit Kalender, ein stiller Arzt für Allgemeinmedizin nebst seiner Gattin, einer Tierärztin … Und so geht es weiter. Schließlich wollen viele ein Haus und kommen nicht auf die Idee, das Haus zu fragen, ob auch sie gewollt sind. Natürlich sind sie es nicht, wie wir bald begreifen. Das Haus und seine Besitzerin leben schließlich in einer Art Symbiose. Sie passen zusammen, gehören zusammen. Mehr noch, sie sind einander treu und werden keinen Verrat aneinander begehen.
Was für eine zauberhafte Geschichte! Wie amüsant und wie bedenkenswert, was die Unterschiedlichkeit von Lebensentwürfen betrifft, die man auch den Behausungen ansehen kann. Szenisch inszeniert, man merkt, dass die Autorin Regisseurin ist. Die Leute treten auf und wieder ab. Das Haus und die Ich-Erzählerin bleiben – zusammen mit uns natürlich, die wir es uns nicht nehmen lassen, zusammen mit dem Haus über die lächerlichen Gestalten herzuziehen, die es seiner Besitzerin abluchsen wollen.
„Es war ein Wahnsinn, das Haus zu verlassen, wenn ich nur an die Tausenden von Schneeglöckchen denke, die ich im frühen Winter in die untere Wiese eingesetzt hatte, wurde mir übel.“ Aber der Strom der Immobilientouristen ist in diesem Moment der Erkenntnis noch längst nicht versiegt. Was dem Haus mächtig auf die Nerven geht, uns Lesende indes erfreut. Inzwischen stirbt die Queen. John Chapple, der offizielle „beekeeper“ des Palastes, informierte die Bienen im Buckingham Palace und auch in Clarence House über den Trauerfall und forderte sie auf, gut zu ihrem neuen Herrn zu sein. Meist glauben wir ja, dass wir das Bewusstsein für uns gepachtet haben. Aber wissen wir es?
Jacqueline Kornmüller: Das Haus verlassen. Illustriert von Kat Menschik. Galiani Berlin, 92 S., geb., 22 €.