„Es ist vorbei, aber wie es war, war es gut“
Auch in ihrem neuen Buch zeigt sich Katja Oskamps besondere Gabe
Irmtraud Gutschke
Welch heiterer Offenbarungsmut! Wer das erste Mal etwas von Katja Oskamp liest, könnte an eine fiktive Geschichte denken (sozusagen „Fifty Shades of Grey“ vor ostdeutschem Hintergrund). Aber elf Jahre vor ihrem Erfolgsbuch „Marzahn, mon amour“ hat sie den Roman „Hellersdorfer Perle“ geschrieben. Da zwängte sich die Ich-Erzählerin schon mal in ein Korsett, weil es aufregend war und einem dominanten Typen so gefiel.
Hier wird er „Tosch“ genannt, und es wird klar heraus gesagt, dass der 19 Jahre ältere Schweizer Gastdozent am Literaturinstitut in Leipzig war, als Katja Oskamp dort studierte. Nicht ob man als Autorin etwas „darf“, sondern wie man darüber schreibt, hatte er ihr beigebracht. Sie wird ihn gefragt haben, ob er mit der Verwendung seiner Person im Roman einverstanden ist. Denn sein Name lässt sich leicht herausfinden. Thomas Hürlimann konnte sich geschmeichelt fühlen, wie die Studentin ihm gefallen, „bis auf den Grund durchschaut werden“ wollte. Und auch heute mag es sein Ego nähren, wie er, der einstige Klosterschüler, seine Männlichkeit ausgelebt hat.
Das hat es ja immer schon gegeben, dass jüngere Frauen von älteren Männern angezogen waren und umgekehrt. Wobei der Roman von der Leidenschaft einer Beziehung lebt, die – zumal heute – als Tabubruch erscheint und dabei, so wirbt der Verlag, „erotisch wie intellektuell von einer radikalen Offenheit, Hingabe und Verspieltheit geprägt ist“. Wie die Frau später von der Geliebten zur Pflegerin wird, was man erwarten durfte, wird dann so detailliert ausgemalt, wie man es eben doch nicht erwartet hat.
Der Romantitel „Die vorletzte Frau“ deutet an, dass es für Tosch noch eine letzte gab. Im Rückblick wird erzählt, in kleinen Abschnitten. Episoden, die sich der Autorin eingebrannt haben. Requiem auf eine Liebe, heiter, selbstironisch genommen. Man ahnt, dass es auch Traurigkeit gegeben hat, Überforderung und Unmut. Der Buchumschlag zeigt einen Teufelskater in Rot, der eigentlich schwarz gewesen ist. Wir werden noch erfahren, wie dieser „Übü“ lebte und wie er starb. Wie ungestüm er war, daran haben sich Mutter und Tochter erfreut.
Paula, wie das Mädchen hier heißt, entstammte der kurzen Ehe mit einem holländischen Generalmusikdirektor. „Ich dachte, es sei Liebe, und wurde schwanger.“ Notkaiserschnitt in der 32. Woche auf Seite 12. Liebe zum Kind und „lottern im Lotterbett“ – manchmal nicht einfach, das eine zu tun, ohne das andre zu lassen. Genauer betrachtet, verstecken sich im Buch vielerlei Dramen. Aber Katja Oskamp macht eben kein Drama daraus.
Was wird da alles untergründig weggelacht! Der Mann war ja zunächst in der Schweiz noch verheiratet … Mal anwesend, mal abwesend. Und die Ich-Erzählerin, war wohl auch angewiesen auf sein Geld. Manchmal nimmt sie die Hilfe einer Psychoanalytikerin in Anspruch. Dr. T. hatte früher Raucherentwöhnungskurse gegeben. „In den Pausen ging sie vor die Tür, um die verdiente Fluppe durchzuziehen.“
Die Botschaft ist, dass das Leben viele Wechselfälle bietet und dass man klarkommen muss. „Nicht jammern, nicht hadern, annehmen, was vorgesehen ist.“ Nichts Menschliches sei dir fremd, dachte ich beim Lesen. „Ich mute mich dir zu. Du mutest dich mir zu.“ So charakterisiert die Autorin diese Liebe. Oder auch „Sex und Text“. Zwei Schreibende suchen ein sinnliches Gegenprogramm. Trotzige Normverletzung. „Tosch referierte, dass jede Sexualität pervers sei, denn die, die nicht pervers sei, schlafe ein.“
„Ich bin die ökonomisch abhängige Frau eines berühmten, vielbeschäftigten Mannes, immer bereit, an seiner Seite mitzulaufen, ihm zu assistieren, ihm den Dreck hinterherzuräumen.“ Aber diese Nüchternheit kommt erst später. Vorher sagt sie: „Ich war gern unten.“ Wir sehen die beiden lachen, bewundern ihre Phantasie, wenn sie sich für die kleine Paula Geschichten ausdenken. Ohne Zweifel, sie brauchen einander. Umso mehr, als ab Seite 92, sein Prostata-Krebs auftaucht. Wie sich nun alles verändert, wie tapfer es angenommen wird. „Den Schrecken bannen“? Hier kann man lesen, wie das geht.
Am Ende des Buches ist die Erzählerin über 50 und versucht einen Spurwechsel in ihrem Leben. Die Tochter erwachsen, die alten Eltern brauchen Hilfe, und sie darf gar wieder in der Rolle einer Geliebten sein. „Tosch war der Mann meines Lebens gewesen.“ Einen Abschied unter Tränen ersparen sie einander. „Es ist vorbei, aber wie es war, war es gut.“
Vom Foto zum Klappentext lächelt Katja Oskamp zu uns herüber, irgendwie verschmitzt mit ihren Grübchen und dabei gütig. Unverstellt. Vielleicht ist es das, was ihr Schreiben so besonders macht: diese Aufrichtigkeit und diese Furchtlosigkeit, sich fremden Urteilen auszusetzen. Ganz ruhig bleibt sie, einfach sie selbst. Wie das beim Lesen bestärkend wirkt, hat sie sich womöglich nicht einmal vorgenommen. Es geschieht einfach.
Katja Oskamp: Die vorletzte Frau. Roman. Verlag park x ullstein, 204 S., geb., 22 €.