Durch die Welt nach Brandenburg
Juan Moreno ist ein begnadeter Erzähler
Von Irmtraud Gutschke
„Geschichten von unterwegs“ – man liest die Reportagen von Juan Moreno tatsächlich wie Erzählungen, in denen fremde Menschen, aber auch der Autor selbst eine Rolle spielen. Man liest sie mit Leichtigkeit und anhaltendem Interesse. Geschichten, nicht nur weil sie an Orte führen, die man nie kennenlernte und vielleicht auch gar nicht kennenlernen möchte. Wie den Darién Gap, die Dschungelgrenze zwischen Panama und Kolumbien, durch die Schmuggelwege verlaufen und Migranten-Routen und jeder Fremde leicht verlorengehen kann. „Der gefährlichste Ort der Welt“ heißt die Reportage darüber, die nur zustande kam, weil der Autor einem Offizier der Grenzpolizei eine Einladung des Indianerstamms der Kuna vorweisen konnte. Der Cazique, der Häuptling des kleinen Dorfes, erhoffte sich, dass ich „über die vergessenen Menschen im Darién berichte“. Als Ureinwohner dort besitzen sie nicht einmal ein eigenes Reservat. „Erzähle der Welt, dass es uns gibt.“
Wie eine Abenteuergeschichte liest es sich, was Moreno auf dem Weg zu den Kuna und bei ihnen erlebte, was er über den Kokain-Schmuggel erfuhr und die Migranten aus Somali traf, die auf dem Weg in den Norden waren. Über einen Fotografen in Bogotá sei er an die Einladung des Dorfältesten gekommen. In Bogot´sei er auch in zwei Gefängnissen gewesen und habe mit Vertretern der linken Farc-Guerilla und der rechten Paramilitärs gesprochen. Ging das denn so einfach? Es ist, als ob sich hinter dem Text noch ein weiterer befindet, der nicht aufgeschrieben wurde. Das ist eines der Geheimnisse dieser Reportagen: Sie erschöpfen sich nicht in dem, was wir lesen. Wir haben etwas zu rätseln und zu fragen.
Hat sich Juan Moreno tatsächlich in einen Bus von Rumänien nach Portugal gesetzt? Wir müssen es wohl glauben, auch wenn er uns die Fahrt – 50 Stunden am Stück – nur in einzelnen Bildern vor Augen führt. Diese müssen ebenso alltägloich wie besonders sein. Dafür hat der Autor eine Schreibtechnik, die man immer wieder bemerkt. Er darf keine Scheu haben, auf Unbekannte zuzugehen und muss sie, indem er sie porträtiert, gleichsam zu künstlerischen Gestalten machen. Mehrmals bei der wirklich spannenden Lektüre fiel mir Morenos einstiger Spiegel-Kollege Relotius ein, der es in seinen hochgelobten Reportagen mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Und es war tatsächlich Juan Moreno der das aufgedeckt hat und dem in der Redaktion zunächst niemand glaubte. Er hat sogar ein Buch darüber geschrieben. Was das für eine schwierige Balance ist zwischen Realität und Deutung (ich will nicht Erfindung sagen), aus eigener Erfahrung dürfte er es wissen.
In Indien hat er das riesige Pilgerfest Maha Kumbh Mela beobachtet: Dreißig Millionen Hindus wollen ins Wasser … Der Hinduismus ist eine wundervolle, leicht melodramatische Religion.“ Es gelingt ihm, sie uns auf knappen Raum zu erklären. Er reist mit der Transsibirischen Eisenbahn, und Dostojewski kommt ihm in den Sinn. „Russland ist komplex, chaotisch, rau, voller Widersprüche und wunderschön. Auch seine Beschreibung des berühmten Jakobswegs wurde gern gedruckt. Zwei Texte waren bisher unveröffentlicht, die anderen wurden im Auftrag großer Zeitungen geschrieben, die natürlich ihre Erwartungen bezüglich Länge und inhaltlicher Gestaltung hatten. Da ist hervorzuheben, wie selbstbewusst eigenständig Moreno reflektiert, was er auf Reisen erlebt, wie er sich immer an die Seite derer stellt, die in schwieriger Lage sind. Er ist doch selbst nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren. Aber immer behalten seine Texte eine Leichtigkeit, die sie jedem, der sie liest eingängig macht.
Besonders viel Witz hat sein Tagebuch einer Weltreise 2005/2006. Von seinen Eindrücken in Nepal, Thailand, Laos Vietnam, China, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, den Fidschi-Inseln, Los Angeles, Guatemala bis hin nach Honduras, Guatemala, Costa Rica und Panama hätte er sich überwältigen und zu ausführlichen Beschreibungen hinreißen lassen können – er muss ja sehr viel Material gesammelt haben – doch er hält ironischen Abstand und trifft eine strenge Auswahl der Episoden, die er beschreibt. „Achtzehn Länder waren es. Mehr als elf Monate hat das gedauert. 3600 Euro kostet so ein Ticket … Rund 25 000 Euro habe ich in dem Jahr ausgegeben.“ Dabei sei er dorthin gegangen, wo auch die Armen leben. Der Unterschied zwischen jenen „und mir ist die Wahl, die ich habe und die sie nicht haben“. Immer hat er diesen genauen Blick auf sich und die Welt. Dabei ist er absolut ehrlich, ibt nicht vor, ein anderer zu sein als er ist.
Nach Spanien, Thailand, Las Vegas, Kolumbien, Sibirien führt das Buch in den Großstadtdschungel am Kottbuser Tor in Berlin und endet an einem See in Brandenburg. Hat sich der ewig Rastlose dort doch tatsächlich ein kleines Haus am See gekauft. Gefunden auf ebay Kleinanzeigen. Nun, er hat ja immer schon Glück gehabt.
Juan Moreno: Glück ist kein Ort. Geschichten von unterwegs. Rowohlt Berlin, 301 S., geb., 22 €.