Das Erbe des Gemüsemanns
Irmtraud Gutschke
Er ist über achtzig, sitzt nicht im Gastraum, sondern in der Küche, und schnippelt Gemüse. Dafür bekommt er eine warmes Essen und manchmal noch ein paar Reste mit heim. Dafür blickt er Irma, die Inhaberin des Restaurants, dankbar an. Weil sie so freundlich und mitfühlend ist, weil er nicht allein zu Hause sitzen muss, sondern Nützliches tun kann. Nie würde sich Irma lustig machen über ihn. Wie schön wäre es, überhaupt mit ihr zusammen zu sein.
Ingrid Noll wird im September 89 und hat ihren 22. Roman veröffentlicht. „Immer noch die originellste Krimi-Autorin deutscher Sprache“, wirbt der Diogenes Verlag auf dem Buchumschlag. Und tatsächlich wird es am Schluss des Buches einen Toten geben: Vinzent, der „Gemüsemann“, hat in seinem Bett einen Herzinfarkt erlitten. Was mir sehr leid tat und Ingrid Noll womöglich auch. Denn wer, wenn nicht sie, kann ihm nachfühlen, wie es ihm geht mit der zunehmenden Vergesslichkeit und der glücklichen Erkenntnis, „dass ich mich in meiner letzten Lebensphase noch einmal verliebt habe“.
Kein Krimi, aber ein heiteres Kammerspiel mit fünf Personen, die abwechselnd von sich selber sprechen: Irma, vierzig Jahre alt, ein bisschen unglücklich ob ihrer kleinen, kugelrunden Figur, dabei eine begnadete Köchin, ist Inhaberin des Restaurants „Aubergine“. „Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn“, singt ihr einstiger Grundschullehrer zur Belustigung der Gäste und spielt damit auf Irmas Oberkellner Josch an, zu dem sie tatsächlich manchmal ins Bett kroch. Aber vor allem käme sie ohne Joschs Hilfe im Geschäftlichen nicht zurecht. Die Hilfsköchin Nicole, Irmas Freundin seit Kindertagen, ist auch noch ohne Mann und würde gern einen finden. Keine Ahnung, warum die 17-jährige Lucy sich in Josch vergafft …
Ja, es ist ein Possenspiel und sicher nicht Ingrid Nolls bestes Werk. Aber es wird niemanden enttäuschen, der für eine lange Bahnfahrt etwas Unterhaltsames sucht. Und, wie gesagt, vor allem Vinzent, den „Gemüsemann“, wird man nicht vergessen, weil die Autorin gerade in ihm so einprägsam und mit einer Prise Selbstironie gestaltet hat, was sie von sich selber kennt. Er ist klüger, kultivierter als alle zusammen, die ihn für schwerhörig halten, weil er sein kleines Hörgerät listig verbirgt. Und arm ist er auch nicht … Also gibt es am Schluss dann doch noch eine Überraschung.
Ingrid Noll: Gruß aus der Küche. Roman. Diogenes, 304 S., geb., 26 €.