Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

George Orwell: 1984

Someone is watching you

George Orwells „1984“  scheint dermaßen aktuell, dass es aus drei Verlagen Neuübersetzungen gibt

Von Irmtraud Gutschke

So aktuell scheint dieser Roman von 1949, dass gleich drei Verlage – S. Fischer, Insel und dtv – fast zeitgleich Neuübersetzungen in Auftrag gaben. Vom Schutzumschlag der Insel-Ausgabe (Gestaltung Brian Barth) schauen uns lauter Augen an. Das trifft ein Gefühl, das ohnehin vorhanden ist. Könnte ein totalitärer Überwachungsstaat Wirklichkeit werden?

Sicher nicht ganz so, wie der englische Schriftsteller es uns in seiner bestürzenden Geschichte ausmalt. Andererseits, die technischen Möglichkeiten sind inzwischen viel größer, die Digitalisierung öffnet Unvorstellbarem Tür und Tor.

Zum Zeitpunkt seines Entstehens konnte man den Roman als eine Auseinanderatzung mit Nazismus und Stalinismus verstehen. Die Vorstellung, dass beide auf unhistorische Weise in einen Topf geworfen würden, war der Grund, dass das Buch in der DDR nicht erscheinen durfte. Die stalinistischen Verbrechen waren ein Geburtsfehler auch des DDR-Staates, sie beschädigten seinen Ruf, während man doch eine neue, gerechte Gesellschaft aufbauen wollte. Angesichts des Buchtitels 1984 denkt man heute mit, wie die Sowjetunion in jenem Jahr an der Schwelle zu einer Öffnung stand, die ihren Untergang einleitete.

Vielleicht sollte man sich den Romantitel anders vorstellen: „2049“ vielleicht. „Someone is watching you“ – die Warnung gilt auch schon für de Moment.

Im Vergleich zur opulenten bibliophilen (und deshalb auch teureren) Ausgabe von S. Fischer und der reich kommentierten von dtv, gilt der Band von Insel allein dem Roman, dessen Neuübersetzung von Eike Schönfeld nichts zu wünschen übrig lässt.

George Orwell: 1984. Roman. Übersetzt von Eike Schönfeld. Insel Verlag, 380 S., geb., 20 €.

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