Seelenfrieden – das rare Gut
Irmtraud Gutschke
Kriegsgefahr, Wirtschaftsrezession und eine gepeinigte Natur, die zurückschlägt – als ob wir besonders hart getroffen wären. Manchmal will es uns ja so scheinen vor dem Fernsehapparat, den wir nicht aus Not, sondern zu unserer Unterhaltung angeschaltet haben. Vor hundert Jahren war daran nicht zu denken. Zu denken aber war an Hungersnöte und rohe Gewalt. Gelassenheit – wie auch unsere Vorfahren darum kämpfen mussten, man mache es sich bewusst. Denn das allein schon beruhigt. Immer schon gab es Leben und Tod, Glück und Enttäuschungen. Und das Belastende verschwindet nicht, wenn wir uns nur oft genug erbosen. Im fDabei machen wir uns Luft und verlieren.
„Gelassenheit“: 14 Geschichten und Gedichte sind in diesem Bändchen versammelt. Wer mag sie ausgewählt haben? Der- oder demjenigen meine Verehrung. Lob auch für Mariam Strobach für die wunderschöne Umschlaggestaltung in Taubenblau und Gold. Ein Geschenkbuch schon auf den ersten Blick. Viele Leute kennt man doch, denen man dringend Gelassenheit zu wünschen wäre. Aber Vorsicht: Sie könnten das Geschenk als Kritik verstehen. Wer in Brass ist, will sich nicht gern beruhigen lassen. Der Ärger soll raus.
Auch ich werde das Buch verschenken, aber erst einmal habe ich mich selbst dran erfreut. Die Lektüre ist wohltuend, sie wirkt. Da kann man gleich zu Beginn der jungen Catharine aus Jane Austens frühem Romanfragment mitfühlen. Wie hatte sie sich auf den Ball gefreut. Doch plötzlich so schlimme Zahnschmerzen, dass jede Freude verflogen war. Zahnschmerzen kennt jeder, aber vor 1800 dürfte es mit einem guten Zahnarzt schwierig gewesen sein, mit Kräutern musste sie sich behelfen. Und trotzdem: „Sie sagte sich, dass es jeden Tag und überall auf der Welt Menschen gab, denen viel schlimmere Unglücke widerfuhren als das, einen Ball zu versäumen, und dass sie vielleicht irgendwann selbst, verwundert oder neidisch, auf eine Zeit zurückblicken würde, in der solche Dinge ihre einzige Art von Sorgen gewesen waren.“
Fürwahr: Diesen Satz sollte man sich hinter die Ohren schreiben ebenso wie den Rat von Rosa Luxemburg für ihre Vertraute Mathilde Jakob. „…und vergessen Sie nie, dass das Leben, wie es auch kommen mag, mit Gemütsruhe und Heiterkeit zu nehmen ist.“ Und das in einem Brief, den sie aus dem Gefängnis schrieb, Schlimmstes vor Augen.
„Gelassenheit ist eine anmutige Form des Selbstbewusstseins.“ So treffend hat Marie von Ebner-Eschenbach das ausgedrückt, dass ich es mir unbedingt merken will. Ebenso wie Goethes Überlegungen, dass Lebenshaltungen auch mit dem Alter zu tun haben. „Kleine Freuden“ beschwört Hermann Hesse. „Wieder Atem holen lernen“, benennt Christian Morgenstern als Notwendigkeit.
Einen treffenden Untertitel hat der Verlag für dieses schöne Bändchen gefunden: „Wer loslässt, hat die Hände frei“. Frei, um was zu tun? So ist die Seelenruhe, die hier bekräftigt wird, immer auch der Tatkraft verschwistert.
Gelassenheit. Wer loslässt, hat die Hände frei. Geschichten & Gedichte zum Entspannen. arsEdition, 80 S., geb., 12 €.