Heillose Welt
Eva Munz führt mit ihrem Debütroman nach Kabul, Paris und in die USA
Von Irmtraud Gutschke
„Oder sind es Sterne“ – was für ein leiser Titel für diesen rasanten Roman zu einem aktuellen Thema: Afghanistan. Und auch das Titelbild gibt sich nicht sofort zu erkennen. Zeigt es ein Flugzeug? Eine Kampfdrohne? Ein leises Surren in der Luft, ein Blitz… Wie Kriege heute geführt werden, Eva Munz hat als Regisseurin und Journalistin in verschiedenen Ländern Asiens recherchiert und verfügt wohl über ein Insiderwissen, das man bei Lesen spürt, ohne dass sie es explizit herausstellt. Dass sie heute in New York lebt, sagt der Klappentext ihres Debütromans. Sehr freundlich geht sie darin mit dieser Stadt nicht um.
Kapitelweise springt die Handlung zwischen Kabul, Paris und den USA hin und her. Wie in einem Film sind drei Schicksale auf spannende Weise miteinander verknüpft, wobei die Autorin drei verschiedene Erzählperspektiven einnimmt. Sameer aus einem Waisenhaus in Kabul spricht in Ich-Form von sich selbst, sodass man sich beim Lesen besonders gut in seine Situation hineinversetzen kann. Sommersprossig und mit rotem Haar, fühlt er sich als Außenseiter. Dass seine Mutter von sowjetischen Soldaten entführt und vergewaltigt worden wäre, hatte man ihm erzählt. Erst später werden wir erfahren, was wirklich geschah.
Sein Onkel, der Geschäftsmann Hasir Zaman, in Paris lebend, spricht sich selbst mit „du“ an, wodurch die Autorin auf seine innere Fremdheit verweist. Sein Vermögen verdankt er seinem afghanischen Vater, dessen internationale Drogengeschäfte florierten, „während zu Hause ein Putsch den anderen jagte“. Nun will er Sameer in den USA mit seiner Mutter zusammenbringen.
In Los Angeles sehen die beiden im Fernsehen die Türme des World Trade Center in sich zusammenstürzen. Während dessen wird Leutnant Ryder, von dem Eva Munz aus der Distanz in auktorialer Perspektive erzählt, in einer US-Spezialeinheit „mit New-Age-Techniken zur psychologischen Kriegsführung“ ausgebildet, wie man es sich bislang kaum vorstellen konnte. Bald werden wir ihm beim afghanischen Höhlenkomplex von Tora Bora an der Grenze zu Pakistan wiederbegegnen. Im CIA-Stützpunkt Langley, Virginia, versucht er später einen Ausbruch…
Zumindest seit dem 11.9.2001 ist das Thema Afghanistan in den Medien präsent, gerade jetzt, da der Einsatz von 1100 Bundeswehrsoldaten dort noch verlängert werden soll. Da ist der Roman eine Herausforderung auch über die Vorgeschichte nachzudenken, darüber, wie die sowjetische Invasion 1979 zu Gunsten der Moskau-treuen Demokratische Republik Afghanistan einen zehn Jahre währenden Stellvertreterkrieg in Gang setzte, in dem die USA die islamistischen Mudschaheddin unterstützten Wer froh war, als Gorbatschow 1989 die Truppen zurückzog, ahnte nicht, dass damit der Weg frei war zur Gründung des „Islamischen Staates Afghanistan“ und später zum Schreckensregime der radikalislamischen Taliban, mit dem die NATO bis heute zu kämpfen hat.
Sameer, wieder aus den USA zurück, ist im Roman bei der Trauerfeier für den populären Mudschaheddin-Anführer Ahmed Shah Massoud dabei, der am 9. September 2001 durch zwei Selbstmordattentäter der Al-Quaida ermordet wurde. Leutnant Ryder begibt sich mit seinen Kameraden auf eine wagehalsige Mission zur Gefangennahme von Osama bin Laden. Hasir Zaman nutzt seine internationalen Kontakte im Drogengeschäft, um Sameer mit fremdem Pass für immer nach Paris zu holen. Er wird von zwei rätselhaften Männern kontaktiert, die er Mark und Spencer nennt, und kommt bald in tödliche Gefahr. Eva Munz erklärt nicht, was ihren Gestalten verborgen ist. Wie in einem Thriller schafft sie mit Hilfe ihrer Phantasie eine Atmosphäre des Geheimnisvollen, arbeitet als Regisseurin auch mit filmischen Mitteln. Ich habe das Buch nicht aus der Hand legen können. Gerade weil es mich inspirierte, selbst Hintergründe zu recherchieren, entfaltete es eine nachhaltige Wirkung.
Wieso die Abwehr gegen den Westen so groß, alle Modernisierungsversuche von außen so hilflos und der Islam so stark ist in Afghanistan, führt uns der Junge Sameer vor Augen, für den die „Amrikaner“ seltsam fremde Wesen sind. Wobei die Autorin auch Hazim und Ryder ihre eigenen Wahrheiten zugesteht. Drei Menschen, ganz unterschiedlich geprägt, mit ihren Träumen und Ängsten, werden in Abenteuer hineingezogen, die sie nicht überblicken. Wem können sie trauen? Wie selbstbestimmt können sie sein in dieser heillosen Welt? Und wie geht es uns selbst? Was können wir wissen und beeinflussen?
Immer wieder erklingt im Roman ein Popsong: „Survivor“ von Destiny’s Child, so irritierend schön wie die Sterne zwischen Traum und Trug.
Eva Munz: Oder sind des Sterne. Roman. Kunstmann, 300 S., geb, 24 €.