Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

E.T.A. Hoffmann: Meister Floh

Die seltsamen Abenteuer des Peregrinus Tyß

Irmtraud Gutschke

Der Vater war Hofgerichtsrat in Königsberg, und er selber ging nach einem Studium der Rechte ans Kammergericht in Berlin. st wurde Kammergerichtsrat in Berlin. Womit sein Schicksal schon hätte besiegelt sein können ebenso wie das von Peregrinus Tyß, dessen Vater ein nüchterner Frankfurter Kaufmann war. Aber beide, der Schriftsteller und sein Protagonist, hatten nun mal eine romantische Seele. Und aus diesem Zwiespalt erwuchsen die tollsten Geschichten.

Die märchenhafte Erzählung „Meister Floh“ von E.T.A. Hoffmann ist schon vielfach herausgegeben worden und inspirierte zahlreiche bildenden Künstler: von George Cruikshank (1826) bis Aleksej Krawtschenko (1922), Theodor Hosemann (1844) bis zu einem Mann, der sich Stefan Mart nannte (1932). Die neue Ausgabe nun, originalgetreu im Text, hat den 1963 in Rjasan geborenen Künstler Alexander Pawlenko angelockt, der übrigens wie Peregrinus Tyß in Frankfurt (Main) lebt und unter anderem auch durch seine Comics von sich reden machte. Dass der Verlag Edition Faust ihn für E.T.A. Hoffmann gewann, ist nur folgerichtig, hat er dort doch Oscar Wildes „Lord Arthur Saviles Verbrechen“ (218) und die Graphic Novel „Faust“ nach Goethe (2022) illustriert. Und auch mit E.T.A. Hoffmann hat er nach „Der goldene Topf“ (2022) schon seine Erfahrungen gemacht.

Scherenschnittartige Bilder in scharfem Schwarz-Weiß-Kontrast: das passt, schließlich muss sich Peregrinus‘ Phantasiewelt gegen die nüchterne Realität behaupten. Da gibt es den Buchbinder Lämmerhirt, bei dem unser Held eine geheimnisvolle Frau trifft, die schöne Dörtje Elverdink, Nichte des Flohbändigers Leuwenhoek, der von sich behauptet, in Wirklichkeit der Mikroskopbauer der Mikroskopbauer Antoni van Leeuwenhoek zu sein. Der ist allerdings schon lange tot, allerdings ein Magier gewesen, sodass wir uns nicht wundern, dass es auch mit Dörtje eine magische Bewandtnis hat.

Und die Titelgestalt „Meister Floh“? In Peregrinus‘ Schlafzimmer erscheint ein winziges Wesen, sprachbegabt und belesen. Er sucht Dörtje, und sie sucht ihn. Verwickelt? So soll es ja auch sein. Dann wird Peregrinus auch noch verhaftet, aber der Floh ist dabei, und kann Gedanken lesen. Und keinesfalls wundern wir uns, dass Dörtje eine verzauberte Prinzessin ist … Wer meint, dass Peregrinus sie heiratet würde, irrt. E komt ganz anders, aber dennoch gut.

E. T. A. Hoffmann allerdings, von einer Nervenerkrankung geplagt, bekam es mit der Zensur zu tun, die hinter dem Märchen eine Satire vermutete. So erschien seine Erzählung – er starb darüber hin – in gekürzter Fassung. Die Untersuchung gegen den Autor ist eine so interessante Geschichte, dass dem Band ein Nachwort gut getan hätte. Wobei es auch verständlich ist, dass der Verlag davon Abstand nahm. Das Märchen mit Pavlenkos großartigen Illustrationen sollte für sich stehen.

E.T.A. Hoffmann: Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde. Illustriert von Alexander Pavlenko. Edition Faust, 223 S., geb., 24 €.

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

Antworten

 

© 2024 Literatursalon

Login