Was im Leben wichtig wäre …
Irmtraud Gutschke
„Unter jedem Dach ein Ach“ – sogar dieser lapidare Satz meiner Mutter findet sich im Roman. Wobei das Leid damit nicht zu ermessen ist, das Daniela Krien uns in ihrem Roman mitempfinden lässt, soweit das überhaupt möglich ist. Ihre 17-jährige Tochter Sonja ist bei einem Verkehrsunfall gestorben. Ein Zwölftonner hatte die Radfahrerin beim Rechtsabbiegen übersehen. Und ich muss daran denken, dass ähnliches in meinem nahen Bekanntenkreis geschah. Die Mutter zerriss sich in Schmerz und Zorn und wollte den Busfahrer verurteilt sehen, was wohl auch geschah. Denn der Staat hat die Schwächeren vor den Stärkeren zu schützen (wenn er das nur immer täte). Aber auch für den Fahrer ist es ein Unfall gewesen, keine vorsätzliche Tat. Er hat die junge Frau schlichtweg übersehen, die sich in gutem Glauben die ihr zustehende Vorfahrt nahm. Wie viele Menschen haben für sowas schon mit dem Leben bezahlt. Auch Fußgänger natürlich, wenn sie nicht auf die Autos achten, die schneller sind und einen toten Winkel haben. Fahrradfahrer könnten geschützter sein …
Und wenn ich in aller Regelmäßigkeit auf den Friedhof, wie viele Gräber gerade junger Menschen sehe ich da.
Aber lassen wir das. Es geht um einen tief bewegenden Roman, in dem eine junge Frau abrupt aus dem Leben gerissen wird und ihre Mutter lange nicht weiß, wie sie damit weiterleben soll. Sie kann und will den Bruch nicht überspielen. Sie will die Zäsur in sich aufnehmen und die Folgen tragen. Nicht nur ihren Beruf als Leiterin einer Kunststiftung gibt sie auf, sondern auch ihre Wohnung in Leipzig und fast schon ihre Ehe.
Linda, Mitte vierzig, lässt sich von einer alten, kranken Frau den alten Bauernhof nebst Hund überschreiben und zieht aus Leipzig weg aufs Land. Ihr rund zehn Jahre älterer Ehemann bittet sie, zu ihm zurückzukommen. Doch sie hält ihn auf Distanz, zumal wie so oft in solchen Fällen der Gedanke schwelt, der andre hätte diesen Tod verhindern können. Aber das hat Folgen. Und so einfühlsam wie Linda von der Autorin auch beschrieben ist, während sie sich abrackert, um ihren Schmerz zu dämpfen, auch Robert tut einem doch leid. Und er hat ja auch Recht: „Wenn dein Leben nur im Glück einen Sinn hatte, dann hatte es nie einen Sinn.“
„Unter jedem Dach ein Ach“ stimmt insofern, als Linda sich nicht als einzige im Roman mit ihrem Unglücklichsein abplagen muss. „Das Leben ist eine Folge von Abschieden“ – dieser Satz scheint der Autorin besonders wichtig zu sein. Dass wir uns unseres Glückes nie sicher sein können, trübt ja immer wieder unser Gefühl von Glück. Macht es gleichzeitig aber auch bedeutsamer. Was im Leben wichtig wäre, diese Frage zieht sich durch das Buch. Und tatsächlich scheint am Schluss eine Antwort in uns auf.
Daniela Krien: Mein drittes Leben. Roman. Diogenes, 294 S., Leinen, 26 €.