Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Charly Mackesy: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd

„Nichts geht über Freundlichkeit“

Irmtraud Gutschke

Schon die 19. Auflage hatte das Buch in diesem Jahr: „Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd“ von Charlie Mackesy. Unkundige könnten meinen, er hätte für seine so ganz besondere Geschichte einen besonders guten Illustrator gefunden, der uns den Text auch noch in Schreibschrift offeriert. Aber der Mann, 1962 in Northumberland, also im Vereinigten Königreich, geboren, sieht sich in erster Linie selbst als bildender Künstler und erst hernach als Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmregisseur. Seine Gemälde wurden vielfach ausgestellt, seine Bronzestatuen sind an verschiedenen Orten in London zu finden. Aber sein Buch „The Boy, the Mole, the Fox and the Horse“ sorgte für seine größte Popularität, allerdings im Zusammenhang mit dem gleichnamigen Film, der bei den „Academy Awards“ mit einem „Oscar“ ausgezeichnet wurde. Was wiederum auf das Buch zurückwirkt. Ein Bestseller sondergleichen, der eigentlich keine Rezensionen braucht. „Mund-zu-Mund-Propaganda“ reicht. Auch mir wurde es empfohlen und ausgeliehen. Ich verliebte mich in das Buch und wollte es zu Hause haben.

Eine kleine, zu Herzen gehende Geschichte, geschrieben, um Menschen Mut zu machen. Weil es Charlie Mackesy klar war, wie einsam viele von uns wir im Grunde sind. Einsam wie der kleine Junge, der voller Fragen ist, und wie die anderen Wesen, die ihm begegnen. Zuerst trifft er den Maulwurf. Was für ein kluges kleines Tierchen und wie witzig! „Hast du anfangs keinen Erfolg, iss Kuchen.“ – „Verstehe. Funktioniert es?“ – „Immer.“ Will sagen: Man muss sich um sich selber kümmern, gut zu sich sein, statt sich zu schelten, wenn etwas misslingt.

„Schon komisch. Wir können uns nur von außen sehen, dabei passiert fast alles innen.“ So denkt der Junge, als er sein Spiegelbild im Wasser betrachtet. „Wovon träumst du?“, fragt ihn der Maulwurf, als es dunkel wird. „Von zuhause“, sagt er Junge. Aber offenbar weiß er gar nicht, was Zuhause ist. So geht es ja vielen Erwachsenen, weshalb ich de Band nicht vornehmlich als Kinderbuch sehe. Verlorenheit und wie man sie überwindet, davon handelt das Buch, das es aus dem List Verlag sogar in zweifacher Ausführung gibt: als die „nur“ gezeichnete Geschichte von 128 Seiten und als „bewegte Geschichte“, als Buch zum Film mit 198 Seiten.

Die längere Version ist szenischer, hat eine deutlichere Dramaturgie. Im Film muss schließlich etwas zu sehen sein. Da ist es ein Spannungsmoment, wenn der Junge vom Pferd fällt. Und wenn er dann mit ihm über die Wolken fliegt (denn das Pferd hat heimlich Flügel), entstehen wunderbare Aussichten. Es muss auch einen Beinahe-Schluss geben, einen Abschied, der dann doch keiner ist.

Man sieht im Buch gleichsam einen Film in Farbe, was manchem besser gefallen wird. Wenn ich indes eine Wahl treffen soll, ist mir die Version, die mir vornehmlich in Schwarz-Weiß nur mit kleinen Farbtupfern vor Augen tritt, lieber. So dynamisch, mit leichter Hand aufs Papier gebracht sind die Zeichnungen des Autors, so selbstverständlich gekonnt verbindet er sie mit seinem gleichsam handgeschriebenen Text. Die Gestaltung begeistert mich, vor allem aber trifft mich der Sinn der Worte.

„Stell dir vor, wie es wäre, wenn wir weniger Angst hätten.“
„Eine unserer größten Freiheiten liegt darin, wie wir auf Dinge reagieren.“
„So viel Schönheit, die wir behüten müssen.“
„NIchts geht über Freundlichkeit.“
„Wir warten oft auf Freundlichkeit … Aber wir können sofort anfangen, freundlich zu uns selbst zu sein.“
„Sich selbst verzeiht man oft am schwersten.“
„Du gibst nicht auf, wenn du um Hilfe bittest.“
„Manchmal ist es schon tapfer und großartig, wenn man aufsteht und weitermacht.“
„Die größte Illusion ist, dass das Leben perfekt sein muss.“
„Wir wissen nicht, was morgen ist. Wir müssen nur wissen, dass wir einander lieben.“

Gemeinplätze? Nur, wenn man oberflächlich liest und die Worte nicht wirklich in sich eindringen lässt.

„Manchmal hörst du nur vom Hass, aber es gibt mehr Liebe auf der Welt, als du dir vorstellen kannst.“

Charlie Mackesy: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd. Aus dem Englischen von Susanne Goga-Klinkenberg. List Verlag, 128 S., geb., 22 €.
Charlie Mackesy. Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd. Eine bewegte Geschichte. List Verlag, 198 S., geb., 24 €.

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