„Ich bin allein, und das ist gut so“
„Der Duft der Dunkelheit“ von Anna Bolavá fasziniert und irritiert
Irmtraud Gutschke
Dass es gut so ist, allein zu sein, sagt die Ich-Erzählerin im Roman „Der Duft der Dunkelheit“. Erstaunlich, wie Anna Bolavá zu fesseln versteht mit einem inneren Monolog über fast 300 Seiten. Lesend ist man dabei, wie eine Frau Heilkräuter sammelt – zu allen Jahres- und Tageszeiten, in ihrem Garten und in dem der Nachbarin, an den entlegensten, schwierigsten Orten, ungeachtet dessen, wie sie sich dabei in Gefahr bringt. Sie bringt sich in Gefahr, und in Gefahr ist sie ohnehin, das spürt man bereits auf den ersten Seiten. Ein Stechen im Kopf. Sie scheint fast nichts zu essen. Irgendwann hat sie ganze Büschel ihrer Haare in der Hand. Sie braucht Medikamente und besorgt sie sich unter der Hand bei einer Freundin in der Apotheke. Ein Arzt blickt auf ihre blau angelaufenen Beine und will sie ins Krankenhaus mitnehmen. Er fasst sie an, sie wird tätlich …
Lindenblüten, Löwenzahn, Zinnkraut, Birke, Himbeer- und Johannisbeerblätter, Königskerzen, Ringelblumen – „Alle Heilkräuter, die im Buch gesammelt werden, gibt es wirklich“, schreibt Anna Bolavá im Vorspruch. Es könnte eine Kräuteridylle zum Wohlfühlen sein, zumal die Ich-Erzählerin uns mit hineinnimmt in ihren so sensiblen, so starken Naturbezug. Sie muss die Pflanzen auf dem Dachboden trocknen und zur Ankaufstelle bringen. Was schwer genug ist und unbefriedigend nicht selten, denn sie ist abhängig von der Willkür derer, die sie bezahlen. Das Buch handelt Anfang der 90er Jahre. Ein ganzes Gesellschaftssystem ist weggebrochen. Aber das allein ist nicht der Grund für die mitunter düstere Atmosphäre. Die Frau verbirgt etwas vor uns, was ihre Vorgeschichte betrifft. Warum hat sie sich unwiderruflich von ihrem Mann getrennt, der sie gern wiederhaben will? Was ist zwischen ihr und dem Schwiegervater geschehen? Vom Besuch bei ihm im Altersheim ist sie mit einem blutigen Loch in der Hand zurückgekehrt, und er soll sich eine Wunde beigebracht haben, an der er verblutet ist.
Erst arbeitet sie noch als Übersetzerin, dann verschreibt sich nur noch ihrer Sammelmanie. Als verrückt gilt sie im Dorf. Doch immer mal wieder kommt sie uns erstaunlich hellsichtig entgegen. Und tapfer vor allem. Sie zieht sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ihrer Schmerzen. Und fast scheint es, als ob wir sie bewundern müssen, wie ihr das gelingt.
Die Rätselhaftigkeit dieses Buches ist kein Manko, sondern ein bewusster Kunstgriff der Autorin. Denn auch was sie selber betrifft, will es mir scheinen, dass sie etwas verbirgt. Der Satz „Eva gewidmet: Du weißt Bescheid“ bringt mich auf diese Idee, dass es bei ihr oder einer nahestehenden Person eine Bedrohung gab, gegen die sie sich wappnen musste mit einer fast unglaublichen Tapferkeit bis hin zur Härte gegen sich selbst, unbedingt etwas durchzustehen.
Anna Bolavá: Der Duft der Dunkelheit. Roman. Aus dem Tschechischen von Katharina Hinderer, Mitteldeutschen Verlag, 296 S., br., 24 €.