Wie Pegasus sich befreite
Irmtraud Gutschke
Erst erfreut man sich an den wunderschönen Bildern von Christina Kraus. Dann, beim Lesen, kann man die Herausgeberin Marie Bernhard nicht genug loben. Texte über Pferde gibt es genug in der Weltliteratur, aber sie hat eine besonders bedachte Auswahl getroffen, die Bekanntes in neuem Zusammenhang zeigt, aber auch manche Entdeckung bietet wie Johannes Bobrowskis Gedicht „Pferde“ oder Ingeborg Bachmanns „Beim Hufschlag der Nacht“, die ich noch nicht kannte. Oder wie da einer über den Bodenseee reitet: Es ist wohl sprichwörtlich geworden, aber die Ballade von Gustav Schwab in Gänze dürfte vielen nicht gegenwärtig sein.
Was die Prosatexte betrifft, treffen Auszüge oft auf Vorbehalte. Stückwerk!? Aber da erinnere ich mich an ein Erlebnis in einem kirgisischen Nationalpark: Vor einer imposanten Berg- und Wiesenlandschaft stand ein leerer Bilderrahmen. Wozu das, denkt man zunächst? Nur, damit man sich so eingerahmt fotografieren lässt. Das kann man machen, aber eigentlich soll die Aufmerksamkeit auf Details fokussiert werden. Dieser Effekt gelingt auch hier. Aus Theodor Storms „Schimmelreiter“ wird das Pferdeskelett in den Blick gerückt, aus Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ die zwei Pferde, die offenbar über eine Sprache verfügen und sogar lachen können, Robert Musil in seinem „Nachlass zu Lebzeiten“ beweist. Miguel de Cervantes kommt mit „Rocinante“ zu seinem Recht, und der griechische Denker Plutarch, der von 45 bis 125 lebte, wusste schon sehr gut, wie man klug mit Pferden umgehen sollte. Wie in ihren eine feurig wilde und dabei sanfte, verständnisinnige, uns zugewandte und dabei freie Seele steckt, wir spüren es doch. „Des Menschen Flügel ist das Pferd“, heißt ein kirgisisches Sprichwort. Nicht von ungefähr ist ein geflügeltes Pferd zum Symbol für Dichtkunst geworden. Da erscheint Friedrich Schillers „Pegasus im Joche“ als ein Protest gegen die Nichtachtung auch der Menschen, die auf solche Weise schöpferisch tätig sind. Und tatsächlich gelingt es dem Pferd, sich wieder in die Lüfte zu erheben. „Nicht mehr das vorge Wesen, königlich./ Ein Geiste, ein Gott, erhebt es sich …“
Aber nochmals zurück nach Kirgistan: Worüber ich mich besonders gefreut habe: dass Marie Bernhard eine Passage aus Tschingis Aitmatows Novelle „Dshamilja“ mit in den Band aufnahm. Möge es eine Anregung zum Weiterlesen sein – von den frühen „Erzählungen der Berge und Steppen“ bis zu den großen Romanen, in denen es auch immer wieder Pferde gibt, aber darüber hinaus etwas, dass wir alle dringend nötig haben: planetarisches Bewusstsein.
„Das Glück dieser Erde“. Pferdegeschichten. Herausgegeben von marie Bernhard. Mit Illustrationen von Christina Kraus. Insel Verlag, 94 S., geb., 15 €.