Die Emanzipation des Mannes
Von Irmtraud Gutschke
Beruhigender Titel: „Barbara stirbt nicht“. Mit diesem Wissen lesen wir das Buch anders, denn sie hätte durchaus sterben können, nachdem ihr Mann sie auf dem Boden des Badezimmers fand und mühsam ins Bett bewegte. Dass sie dort lag und nicht aufstehen wollte, kaum etwas aß und nur ein Auge richtig öffnete, bringt ihn nicht dazu, schnellstens den Notarzt zu rufen, wie ich es getan hätte. Verdacht Schlaganfall? Manche erholen sich ja nach einiger Zeit alleine davon. Auch Barbara will nicht ins Krankenhaus.
Es hätte schlimm ausgehen können, denkt man beim Lesen immer mal wieder – und amüsiert sich doch köstlich. Zu Recht kündigt der Verlag „das urkomische Porträt einer Ehe“ an. Denn Barbaras Mann, Herr Schmidt, hat ja zu Beginn des Buches schon Schwierigkeiten damit, überhaupt Kaffee zu kochen. Ja, er findet sich in der Küche überhaupt nicht zurecht, die das Reich seiner Frau gewesen war. Zum Glück findet das Kaffeepulver – und füllt den Filter der Maschine bis zum Rand. Heraus kam „eine ölige, schwarze Flüssigkeit“, ungenießbar, auch wenn er sie verdünnte. Weil seine Frau aber Kaffee wollte, kaufte er beim Bäcker einen Becher für 2,80. Den Weg dorthin kannte er zum Glück. Ansonsten ging ja Barbara immer einkaufen…
Mit schwacher Stimme gibt sie vom Bett aus Befehle. Der Hund muss versorgt werden. Sein Hackfleisch ist mit Kartoffeln und Haferflocken anzubraten. Herr Schmidt scheint erstmals mit dem Kühlschrank Bekanntschaft zu machen und mit der Kühltruhe. Vielleicht macht das Buch Leserinnen mehr Spaß als Lesern, die entweder nie so waren wie Herr Schmidt oder nicht anders sein wollen. Ach, wie unbeholfen sind doch die Männer! „Das bisschen Haushalt macht sich von allein“, sagt mein Mann!, sang Johanna von Koczian zur Freude der vielen bundesdeutschen Hausfrauen, die von ihren Männern unterschätzt werden. Auch Herr Schmidt beginnt nun zu begreifen, was Barbara so täglich leistet – und ihm wird jetzt erst richtig bewusst, wie sie sehr er sie braucht und liebt.
Also tut er, was er kann, und er kann zunächst nicht viel. Barbara muss essen, sagt er sich, sonst wird sie nicht gesund. Sie wünscht eine gekochte Kartoffel mit Salz und Butter. Wie solle er das machen? „Barbaras Erklärungen machten ihn klein.“ Ja, das ist so, wenn eine die Regie über den Haushalt hat und plötzlich nicht mehr kann. Sohn und Tochter kommen, helfen, aber Herr Schmidt will nicht unter fremde Kontrolle. Gut so.
Wie er es macht, dass er am Schluss sogar die kompliziertesten Kuchen backen kann und eine Birnen-Marmelade bereitet, die sogar den Fernsehkoch begeistert, soll hier nicht verraten werden. Dass Barbara plötzlich Appetit auf Borschtsch verspürt, ist ein Wendepunkt zu ihrer Gesundung. Wie da eine russische Community ins Spiel kommt, ist so erfreulich, dass man selber dazugehören möchte. Alina Bronsky wurde 1978 in Swerdlowsk geboren und wanderte mit ihrer Familie Anfang der 1990er Jahre nach Deutschland aus. „Barbara stirbt nicht“ ist ihr elfter Roman. Er handelt von Krankheit, Liebe – und der Emanzipation eines Mannes, die wohl alle Männer betrifft. Indem auch sie Sorgearbeit übernehmen, verändern sie sich, öffnen sich ihnen neue Welten. Wie man an Herrn Schmidt sieht, der über seinen Schatten springt und schließlich etwas tut, was er nie von sich gedacht hätte.
Alina Bronsky: Barbara stirbt nicht. Kiepenheuer & Witsch, 256 S., geb., 20 €.