Was wichtig bleibt
„Ein Jahr voller guter Nachrichten“ von Martin Smetana
Irmtraud Gutschke
Er lebt in der Nähe von Bratislava und ist 31 Jahre alt: Martin Smatana schafft Bilder aus gebrauchten Textilien und schuf so auch seinen Animationsfilm „The Kite“, mit dem er 2020 auf die Berlinale kam. Er handelt „von den wichtigsten Dingen in unserem Leben – menschlichen Bindungen, die nicht einmal der Tod trennen kann“. Dass er schon als Kind tröstliche, bestärkende Geschichten liebte, bekennt er im Vorwort seines kleinen Bandes, der hierzulande schon dermaßen Furore machte, dass die Pressesprecherin eines anderen Verlages ihn mir empfahl: „Das musst du lesen, das tut gut.
„Ein Jahr voller guter Nachrichten“: Als er selber während der Pandemie beinahe von Trübsinn und Pessimismus angesteckt worden wäre, wollte er sich „von der Flut schlechter Nachrichten nicht unterkriegen zu lassen“, und hat gezielt „nach guten Meldungen“ gesucht. Was er zunächst für sich selber tat, indem er dazu aus Stoffen kleine Bilder arrangierte, hob auch die Stimmung bei seinen Freunden. Also beschloss er, „sie wöchentlich mit einer neuen ‚illustrierten‘ guten Nachricht aufzuheitern“.
Da hat ein Müllsammler aus Bogotá, Kolumbien, über 25 000 Bücher gerettet, die andere weggeworfen hatten, und betreibt nun im Erdgeschoss seines Hauses eine Bibliothek für arme Kinder. Ein italienischer Fahrradprofi lieferte Medikament und Lebensmittel in seine von der Pandemie schwer getroffene Heimatstadt. Als Schüler in Bristol, England, erfuhren, dass der Hausmeister seine Verwandten in Jamaika seit vier Jahren nicht besucht hatte, sammelten sie Geld für ein Ticket. Ein Lachen trotz alledem: Fensterputzer in Kingston, Ontario, verkleideten sich als Superhelden, um die Patienten in einem Kinderkrankenhaus aufzuheitern. Feuerwehrleute in Utah, USA, munterten nach einem Autounfall ein verängstigtes keines Mädchen auf, indem sie sich von ihm die Fingernägel lackieren ließen. Darauf muss man erstmal kommen! Als in Barcelona öffentliche Veranstaltungen abgesagt wurden, führte ein Streichquartett Puccinis „Crisantemi“ im Opernhaus vor 2292 Zimmerpflanzen auf, die dann an Mitarbeitende des Gesundheitswesens verschenkt wurden. (Wenigstens Anerkennung bei sonst geringem Lohn.) Alltägliche Wunder: Eine einst berühmte spanische Primaballerina, die an Alzheimer erkrankt war, erinnerte sich beim Anhören einer Aufnahme von „Schwanensee“ an die Choreografie und begann zu tanzen …
Was üblicherweise nur am Rande vermeldete wird, in 52 bebilderten Episoden rückt Martin Smatana es in den Vordergrund unserer Aufmerksamkeit. „Was sonst noch passierte“ – wenn ich mich recht erinnere, hat es vor langer Zeit mal so eine kleine Rubrik im „ND“ gegeben. Kurioses, Amüsantes – das Lächeln darüber verschwindet ja heute schnell wieder angesichts jenes Gemischs aus Ängsten, Bedrohungen, Empörung, Ohnmachtsgefühlen, Groll, das den Alltag und auch die Medien beherrscht. Und wer uns Abhilfe verspricht, wie ich jetzt in meinem Mail-Fach sehe, will uns meist bloß etwas verkaufen. Was sagt es uns da, dass ein Ausdauerläufer eine 22-jährige Studentin mit körperlichen Behinderungen in einem speziell dafür umgebauten Rucksack auf den Olymp getragen hat? Dass es für ihn eine große Leistung war und für sie die Erfüllung eines Traums. Dass Mitmenschlichkeit einen Sinn behält, das über gewiss notwendige gesellschaftliche Veränderungen hinaus die ganz persönliche Solidarität ein Wert ist, der nicht verloren gehen darf – ja dass wir unter den Bedingungen allgegenwärtiger Vereinzelung eine Sehnsucht damit verbinden.
Dass auch solche kleinen Dinge die Welt zu einem besseren Ort machen können, meint Martin Smatana. „Es ist sicher nicht das große Ding, das alle Probleme löst.
Martin Smatana: Ein Jahr voller guter Nachrichten. Aus dem Englischen von Anna-Lena Prill. Pattloch Verlag, 112 S., geb., 12 €.