Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Wilhelm Schmid: Schaukeln

Auf- und Abschwünge

„Schaukeln“ von Wilhelm Schmid ist ein Buch voller Lebensweisheit

Irmtraud Gutschke

Dieses Buch hat einen überaus ernsten Hintergrund: Er erfuhr von der lebensbedrohlichen Krankheit seiner Frau. Eine tiefe Zäsur, ein so schmerzhafter Einschnitt in sein Leben, dass er sich fragte, wie es weitergehen sollte. Aber dies ist kein Handbuch über die Trauer. Als Philosoph hat sich Wilhelm Schmid davon nicht verschlingen lassen. Vielmehr nennt er „Schaukeln“ eine „kleine Kunst der Lebensfreude“. Denn: „Nie bleibt es gleich, auch wenn es so erscheint. Es war diese Einsicht in die Polarität des Lebens, die ihm tröstlich war. „Mit dem hin und her schwingenden Pendel einverstanden zu sein, ist die Voraussetzung für die Kunst, sich des Lebens zu freuen.“ Schaukeln zwischen der grenzenlosen Traurigkeit und dem pragmatischen Weiterleben, das den Tagen einen Rahmen gibt.“

Das Bild des Schaukelns kann tatsächlich viel in sich aufnehmen, und Wilhelm Schmid ist wortmächtig überzeugend, ein Künstler der Lebenskunst sozusagen. Die er zu lernen hilft, indem er uns etwas bewusst macht. Ich kann die routinemäßige Abstumpfung reduzieren, indem ich mich einem Genuss in allen Details widme. „Askese intensiviert das Begehren.“ Diese Lebensphilosophie ist in einem tiefen Sinne dialektisch. Du kannst nicht alles haben und nicht für immer, doch gewinnst du sehr viel, wenn du begreifst, dass alles seine Kehrseite hat. Wäre es nicht langweilig, immer nur oben zu sein? „Die erfreulichsten Genüsse hebeln die Polarität des Lebens nicht aus.“ Ja: „Das Leben ist keine Hollywoodschaukel.“

Wie schön ist es, im „Flow“ zu sein, wenn sich wie von allein die besten Energien freisetzen. „Die vielfältigen Verknüpfungen sorgen für eine Erfahrung von Sinn, der den Eindruck erweckt, nie mehr in Frage stehen zu können … Die Präsenz der Energien, die alles durchdringen, alles in ein Netz von Zusammenhängen eispinnen und aufleben lassen, ist leibhaftig zu spüren.“ – Selten ist der Reiz schöpferischer Arbeit so eindringlich beschrieben worden. Und dann die Müdigkeit. Ein abschwellender Pegel der Hormone, während wir kurz zuvor noch an High Life geglaubt haben. Abschwung, Ausschaukeln.

Memento mori, bedenke den Tod, ja aber, carpe diem, genieße den Tag … Alleine zurechtkommen zu müssen, wird jetzt ein Alltag sein.“ Und dann wieder so ein sehr kluger Satz: „Wirklichkeit ist das, was so schwierig zu bewerkstelligen ist, dass es nicht jeden Tag neu erfunden werden kann.“ Den Alltag nennt Wilhelm Schmid ein „Basislager“, das man braucht, wenn man die Gipfel des Lebens, Liebens und Arbeitens erstürmen will. Und zu seinem Trost will er glauben, dass seine Frau „in einer umfassenden energetischen Sphäre geborgen ist. „Was sich im Winter unter der Erde verschwindet, wagt sich im Frühling wieder hervor.“

Wilhelm Schmid: Schaukeln. Die kleine Kunst der Lebensfreude. Insel Verlag.
110 S., geb., 12 €.

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