Auf- und Abschwünge
„Schaukeln“ von Wilhelm Schmid ist ein Buch voller Lebensweisheit
Irmtraud Gutschke
Dieses Buch hat einen überaus ernsten Hintergrund: Er erfuhr von der lebensbedrohlichen Krankheit seiner Frau. Eine tiefe Zäsur, ein so schmerzhafter Einschnitt in sein Leben, dass er sich fragte, wie es weitergehen sollte. Aber dies ist kein Handbuch über die Trauer. Als Philosoph hat sich Wilhelm Schmid davon nicht verschlingen lassen. Vielmehr nennt er „Schaukeln“ eine „kleine Kunst der Lebensfreude“. Denn: „Nie bleibt es gleich, auch wenn es so erscheint. Es war diese Einsicht in die Polarität des Lebens, die ihm tröstlich war. „Mit dem hin und her schwingenden Pendel einverstanden zu sein, ist die Voraussetzung für die Kunst, sich des Lebens zu freuen.“ Schaukeln zwischen der grenzenlosen Traurigkeit und dem pragmatischen Weiterleben, das den Tagen einen Rahmen gibt.“
Das Bild des Schaukelns kann tatsächlich viel in sich aufnehmen, und Wilhelm Schmid ist wortmächtig überzeugend, ein Künstler der Lebenskunst sozusagen. Die er zu lernen hilft, indem er uns etwas bewusst macht. Ich kann die routinemäßige Abstumpfung reduzieren, indem ich mich einem Genuss in allen Details widme. „Askese intensiviert das Begehren.“ Diese Lebensphilosophie ist in einem tiefen Sinne dialektisch. Du kannst nicht alles haben und nicht für immer, doch gewinnst du sehr viel, wenn du begreifst, dass alles seine Kehrseite hat. Wäre es nicht langweilig, immer nur oben zu sein? „Die erfreulichsten Genüsse hebeln die Polarität des Lebens nicht aus.“ Ja: „Das Leben ist keine Hollywoodschaukel.“
Wie schön ist es, im „Flow“ zu sein, wenn sich wie von allein die besten Energien freisetzen. „Die vielfältigen Verknüpfungen sorgen für eine Erfahrung von Sinn, der den Eindruck erweckt, nie mehr in Frage stehen zu können … Die Präsenz der Energien, die alles durchdringen, alles in ein Netz von Zusammenhängen eispinnen und aufleben lassen, ist leibhaftig zu spüren.“ – Selten ist der Reiz schöpferischer Arbeit so eindringlich beschrieben worden. Und dann die Müdigkeit. Ein abschwellender Pegel der Hormone, während wir kurz zuvor noch an High Life geglaubt haben. Abschwung, Ausschaukeln.
„Memento mori, bedenke den Tod, ja aber, carpe diem, genieße den Tag … Alleine zurechtkommen zu müssen, wird jetzt ein Alltag sein.“ Und dann wieder so ein sehr kluger Satz: „Wirklichkeit ist das, was so schwierig zu bewerkstelligen ist, dass es nicht jeden Tag neu erfunden werden kann.“ Den Alltag nennt Wilhelm Schmid ein „Basislager“, das man braucht, wenn man die Gipfel des Lebens, Liebens und Arbeitens erstürmen will. Und zu seinem Trost will er glauben, dass seine Frau „in einer umfassenden energetischen Sphäre geborgen ist. „Was sich im Winter unter der Erde verschwindet, wagt sich im Frühling wieder hervor.“
Wilhelm Schmid: Schaukeln. Die kleine Kunst der Lebensfreude. Insel Verlag.
110 S., geb., 12 €.