Sich wahrnehmen im Hier und Jetzt
Irmtraud Gutschke
Oft sind ja persönliche Probleme der Auslöser, dass jemand zu diesem Thema findet. Stefanie Katie Baader war als Projektmanagerin in der IT-Branche oft gestresst und unausgeglichen. Spontan besuchte sie ein Seminar zu persönlichen Weiterentwicklung und bekam den Tipp, sich mit Achtamkeit zu ebschäftigen. Sie las viele Bücher, besuchte Yogastunden, nahm positive Veränderungen an sich wahr und bekam Lust, ihre Erfahrungen zu teilen. So fand sie zu ihrer neuen Berufung als Achtsamkeitslehrerin, Psychologische Beraterin und Business Coach. Ein Berufsbild, das es noch gar nicht so lange gibt. Für Achtsamkeitskurse übernehmen die gesetzlichen Krankenkasse heute sogar einen Teil der Kosten. Denn Prävention tut not, angesichts der wachsenden Zahl von Krankschreibungen wegen psychischer Belastungen. „Ich kann nicht mehr“ – wenn jemand das heute sagt, wird das ernst genommen. Zum Glück. Es gab Zeiten, als nicht so human damit umgegangen wurde, aber damals war der Stress nicht dermßen diffus und schwer zu greifen.
Besonders Frauen sehen sich einer Vielzahl von konkurrierenden Anforderungen ausgesetzt. Eindringlich hat das Antonia Baum in ihrem Roman „Siegfried“ auf den Punkt gebracht. Die Ich-Erzählerin kämpft mit einer Schreibblockade, mit Vorwürfen gegenüber ihrem Lebensgefährten, mit ihren Vorstellungen von Erfolg und einer ordentlichen Wohnung – und hat ein kleines Kind. Da sitzt sie noch im Wartezimmer eines Psychiaters, während sie eigentlich ihr Kind aus der Kita abholen müsste …
Ich überlege, ob dieses dicke, von Veronika Preisler schön gestaltete Buch ihr helfen könnte. Sie müsste sich Zeit dafür nehmen und sich guten Ratschlägen nicht verschließen: „Stärke die Verbindung zu dir.“ „Lebe im Hier und Jetzt.“ „Lass los und finde Vertrauen und Mut.“ „Kultiviere Dankbarkeit und Wertschätzung.“ Einfühlsam kommt Stefanie Katie Baader ihren Leserinnen und Lesern entgegen, mit einleuchtenden Erklärungen und Übungen, mit prononcierten Sprüchen, die der Selbstbeschwörung dienen können.
Es ist ein Buch für Hilfesuchende, aber wohl auch eines zum Verschenken – mit dem Risiko, zunächst auf Vorbehalte zu treffen: Wieso, erscheine ich etwa als zu nervös? Aber irgendwann wird das Buch geöffnet werden, vielleicht nicht von der ersten bis zur letzten Seite gelesen werden, aber bei einem Waldspaziergang könnte man ja schon mal versuchen, die Umgebung mit allen Sinnen wahrzunehmen. Man könnte die „Berghaltung“ einnehmen oder die „Baumhaltung“ oder „die kleine Kobra“. Das Buch ist stark vom Yoga und Buddhismus inspiriert. Dass etwas im Individuum geheilt werden soll, was eigentlich gesellschaftlicher Heilung bedarf, darf man zu Recht einwenden. Aber auch über die psychischen Auswirkungen der neoliberalen Ordnung gibt es schon einen Stapel wissenschaftlicher Literatur, die das Problem an der Wurzel packt. Nur leider kommt die, der einzelne an die Wurzel nicht heran und muss sich sozusagen am eigenen Schopf aus dem Sumpfe ziehen. Diesbezüglich ist das schöne Buch von Stefanie Kathie Baader unbedingt zu empfehlen.
Stefanie Kathie Baader: Achtsamkeit. Dein Weg zur inneren Balance. Gestaltung Veronika Preisler. Ars Edition, 207 S., geb., 25 €.