Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Olia Hercules: Mamusia

Köstliches – nicht nur aus der Ukraine

Irmtraud Gutschke

Als sie 2014 dieses Buch schrieb, sagt die Olia Hercules in der Einleitung, habe sie das Wort „Mamuschka“ als Titel gewählt, denn so hatte die Familie die Mutter genannt, die im Süden der Ukraine wohnt. Dass der Autorin für die Neuauflage das russische Wort unpassend schien, hat mit der durch den russischen Einmarsch zugspitzten Lage zu tun. Dem hat auch der Verlag Rechnung getragen, indem er in wirklich schöner Aufmachung „Familienrezepte aus der Ukraine“ ankündigt. Das stimmt wohl, denn die Autorin, „1984 in Kachowka, nur zwei Autostunden von der Grenze zur Krim entfernt geboren“, serviert Gerichte, die sie schon als Kind gern gegessen hat. Die sind ihr jetzt umso näher, da sie inzwischen in Großbritannien als Köchin Karriere machte. So ist ihr Buch auch zuerst in London erschienen, aber man kann Olia Hercules auch am reichgedeckten Tisch der Familie sehen.

Diese Familie ist indes nicht nationalistisch einzugrenzen. „Meine Großmutter väterlicherseits kam aus Sibirien, meine Mutter hat jüdische und bessarabische (moldawische) Wurzeln und mein Vater wurde in Usbekistan geboren, dazu haben wir armenische Verwandte und Freunde aus Ossetien.“ Kurz gesagt, es ist eine Familie, wie es viele gab in der Sowjetunion mit ihren selbstverständlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Völkerschaften.

Womöglich wäre es nicht verkaufsfördern gewesen, diesem Buch den Untertitel „Rezepte aus der Sowjetunion“ zu geben. Aber das macht gerade seinen Wert aus: Der ukrainische Borschtsch findet sich neben der russischen Soljanka (die viel köstlicher ist, als das, was unter diesem Namen hierzulande serviert wird), Chartscho, die scharfe georgische Rindfleischsuppe neben einer Hammelsuppe aus Aserbaidshan. Zur kalten armenischen Joghurtsuppe kann es ukrainische Knoblauchbrötchen geben oder moldawisches Fladenbrot mit Käse und Sauerampfer. Die Kefirteigrezepte im Buch sind besonders zu empfehlen. Nein, stimmt nicht, alles ist köstlich, ob es das Hähnchen mit Nudel aus Zentralasien ist oder der Johannisbeerwodka. Die Oladki genannten Joghurtpuffer sind eine Entdeckung für mich und wohl tatsächlich ukrainischen Ursprungs. Aber der Salat „Winegret“ (Kartoffeln, Rote Bete, Gurke usw.) ist für mich immer typisch russisch gewesen. Egal. Auch wenn Olia Hercules ihre „ausgeprägten ukrainischen Nationalstolz“ betont, sitzen wir mit ihr am Tisch einer großen Völkerfamilie – sogar „sowjetische Gänsenudeln“ werden aufgetan -und es schmerzt einen umso mehr ob der gewaltsamen Streitigkeiten, durch die Völker heute in Hass aufeinanderprallen.

Olia Hercules: Mamusia. Familienrezepte aus der Ukraine. Verlag Dorling Kindersley, 240 S., geb., 24,95 €.

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