Ein Schatz von 1680
„Das Kräuterbuch“ des Johann Christoph Ende
Von Irmtraud Gutschke
Ein Ratgeber? Oder doch eher ein Kunstbuch seines besonderen Buchschmucks wegen? 215 weiße Scherenschnitte in- und ausländischer Bäume, Stauden, Kräuter zieren die Handschrift, die um 1680 entstand und in der Staatsbibliothek zu Berlin verwahrt wird. Daraus bekommt man mit diesem aufwändig gestalteten Insel-Band einen Auszug. Man bestaunt die Scherenschnitte, wie filigran und genau sie sind, und bleibt dann doch an den Texten hängen.
Vom Autor, Johann Christoph Ende, nimmt die Herausgeberin Renate Schipke an, dass er aus Liegnitz in Schlesien stammt und dass er auf jeden Fall ein studierter Mann gewesen ist. Ein Rechtsanwalt oder Notar vielleicht, der bei seinen Aufzeichnungen auch aus anderen Quellen schöpfte. Man kann ja davon ausgehen, dass Kräuter im 17. Jahrhundert bei der Heilung auch schwerer Erkrankungen eine viel größere Rolle spielten als heute. Selbst gegen die gefürchtete Pest musste damals manch Kräutlein gewachsen sein.
Von Aloe bis Zwiebel sind Pflanzen aufgeführt, die mehr oder weniger bekannt sein dürften. Die Alraune (Mandragora) zum Beispiel gibt es wirklich, doch ist dieses Nachtschattengewächs hochgiftig, und man staunt, wie unbefangen der Autor damit umgeht. Auch die Silberdistel sollte wegen ihre Giftgehalts nur in Fertigpräparaten oder homöopathisch potenziert angewendet werden. Und der Eisenhut erst: „das ärgste Gift“, schreibt Johann Christoph Ende, und sucht eher nach dem Gegengift. Es mussten noch einige Jahrzehnte vergehen, bis Samuel Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, Aconitum napellus als eine der wirkmächtigsten Arzneien bei Entzündungen und plötzlich auftretenden fieberhaften Erkrankungen beschrieb. Meine Großmutter hat meinen Vater durch „Aconit“ von einer Hirnhautentzündung geheilt.
Es macht Lust, im Buch zu blättern, zumal man hintergründig auch einiges über Lebensweise und Bedürfnisse in der damaligen Zeit erfährt. Manche Pflanzen, wie das Galbankraut, mag man nicht kennen. Andere sind verbreitet, gebräuchlich. Man könnte etwas ausprobieren. Zum Beispiel dieses: „Wer ein schönes Angesicht haben wil der siede Liebstöckel-Kraut oder auch die Wurtzel in Waßer und wasche sich Täglich damit.“
So will ich das Buch doch unter die „Ratgeber“ einordnen.
Das Kräuterbuch. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Renate Schipke. Insel Verlag. 140 S., geb., 16 €.