Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub

Als Podcast zu hören auf

dasnd.de/buecherberge

Das Geheimnis, sich jung zu fühlen

Richard Osman gelang ein Bestseller, der im Altenheim spielt

Von Irmtraud Gutschke

Auf die Idee zu diesem Roman kam Richard Osman, als er eine Verwandte in einem noblen  Seniorenheim besuchte. War es „Audley Coper’s Hill“ in Surrey oder „Emerson Park“ in Kent, wo sich auch der Schauplatz dieses Romans befindet? Solcherart Fünf-Sterne-Residenzen gibt es ja mehrere, auch hierzulande – natürlich nur für Leute, die sich die Sterne auch leisten können. „Coopers Chase“ hat sich Osman wunderbar ausgedacht:  Von einem alten Kloster, der dem Ort die Stimmung gibt, gehen vier moderne Wohntrakte ab, umgeben von fünf Hektar Land mit zwei kleinen Seen, wo Lamas weiden, und einem Park, der in einen Wald übergeht. Auf einem Hügel befindet  sich ein alter Friedhof, wo einst die Nonnen des Klosters begraben wurden. Der wird im Roman noch eine Rolle spielen. Ein Wellnessbereich mit Schwimmbad und Fitnessraum muss sein ebenso wie ein Restaurant. Und dann gibt es noch diverse Räume für diverse Freizeitaktivitäten. In einem von ihnen trifft sich der „Donnerstagsmordclub“.

Ins Leben gerufen wurde er von zwei Freundinnen: Penny, die aus ihrer Dienstzeit bei der Polizei in Kent heimlich einige Akten hat mitgehen lassen (ungelöste Fälle, über die man sich nun gemeinsam den Kopf zerbricht) und Elizabeth, die aus vielen Jahren beim Geheimdienst diverse Kenntnisse und Erfahrungen mitgebracht hat. Dazu gesellen sich Ibrahim, ein Psychiater, der immer noch Patienten empfängt, und Ron, ein einstiger Gewerkschaftsführer, der ein bisschen darunter leidet, nicht mehr zu Talkshows eingeladen zu werden. Penny liegt inzwischen im benachbarten Pflegeheim. Ihren Platz, damit beginnt das Buch, nimmt nun Joyce ein, die lange Krankenschwester war, eine zupackende Person, die uns durch ihre Tagebucheintragungen vom Fortgang der Ereignisse berichtet.

Mag nebenbei die Frage auftauchen, woher Joyce und Ron denn das Geld für diesen Luxus haben? Ganz einfach, aus den legalen und illegalen Geschäften ihrer Kinder. Joyce‘ Tochter kennt sich mit Akten aus und ist gut für geheime Recherchen. Rons Sohn, Boxer, einst im Drogenmilieu aktiv, gerät sogar unter Mordverdacht. Und dass der Luxus auch einen Eigentümer hat, der kräftig daran verdient, ist auch klar. In diesem Fall sind es zwei – bis einer von ihnen mit einem schweren Gegenstand erschlagen wird. Und kurz darauf bleibt keiner von ihnen mehr übrig. Fragt sich nur, wer dem Mann die Giftspritze verpasst hat.

Es geschah während einer Sitzblockade vor dem Tor des alten Friedhofs. Seniorinnen und Sensioren hatten es sich auf Stühlen bequem gemacht, wo sie Wein tranken oder strickten, um den Baggern den Weg zu versperren. Aber, wie gesagt, zur Einebnung des Friedhofs kommt es nicht mehr, weil die  Expansionspläne nun begraben werden zusammen mit dem Mann, der sich Millionengewinne erhoffte. Vorher hat er noch einen Priester geschlagen, der den Ort der Ruhe verteidigen wollte. Aber war es wirklich ein Priester? Und birgt der Friedhof vielleicht noch ein Geheimnis? Was hat der polnische Angestellte Bogdan damit zu tun? Oder Bernhard, den Joyce eigentlich mag, und der immer auf einer Bank vor dem Friedhof sitzt?

Die Handlung entwickelt sich nach den bewährten Gesetzen des guten alten englischen Krimis, wo es mehrere Verdächtige gibt, falsche Fährten und neue Verwicklungen, wo die Lösung im Geiste am wichtigsten ist, besser gesagt, der Weg dorthin, auf dem wir miträtseln dürfen. Um dieses Vergnügen geht es viel mehr als um Bestrafung. Die vier Hobbydetektive sind lebenserfahren genug, um Schuldige auch zu begnadigen. Wäre da jemand zu verhaften, müssten sie das der Polizei überlassen, aber sie können auch schweigen. Andererseits brauchen sie die Polizei, um an Informationen zu kommen. Mitunter tauschen sie auch welche aus. Elizabeth, einst als Geheimagentin in mehreren Ländern unterwegs, kennt immer noch Leute, die ihr „etwas schuldig“ sind – und sie weiß, dass viel mehr möglich ist, als man gemeinhin glaubt. Köstlich, wie Richard Osman das beschreibt, voller Wortwitz und Situationskomik. Unterhaltsame Lektüre, spannend und entspannend zugleich.

Wie es gelungen ist, den Roman von Schrecken und Bedrückung fernzuhalten? Denn das Alter kann auch bedrückend sein, machen wir uns nichts vor. Durch Witz, wie gesagt, aber auch durch Nüchternheit. Denn Elizabeth, Joyce, Ron und Ibrahim verdrängen ihr Alter nicht. Sie leben gelassen und bewusst ein „Carpe diem“, wie auch wir Jüngeren es tun sollten. Jeden Moment sich lebendig fühlen: Da ist der „Donnerstagsmordclub“ für sie ein Stück Lebenskunst, um sich geistig beweglich zu halten und Spannung in einen Alltag zu bringen, der Luxus hin wie her, doch eintönig sein könnte. Sie schaffen es, immer in Aufregung zu sein. Ob das gut ist? Jeder muss das für sich entscheiden. Für die vier offenbar schon.

Und die arme Penny im Pflegebett? Elizabeth berichtet ihr regelmäßig von allem, was geschieht. Und dann zeigt sich sogar, dass auch Penny ein dunkles Geheimnis hat…

Ja, vielleicht ist es sogar überhaupt ein Geheimnis sich jung zu fühlen: das Unabwendbare mit Geheimnissen zu umgeben.

Über eine Million verkaufte Bücher in Großbritannien: Da sage noch einer, dass ein Altersheim kein passender Handlungsort für einen Bestseller ist. Es würde mich nicht wundern, wenn dies der Auftakt für eine Buch- und vielleicht auch Fernsehserie wäre.

Richard Osman: Der Donnerstagsmordclub. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Sabine Roth. List Verlag, 453 S., br. 15,99 €.   

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