„Wir sind keine Mafia“
Spannend, ironisch – und kenntnisreich: „Russischer Tango“ von Jaroslav Boček
Von Irmtraud Gutschke
Die Idee zu diesem Roman sei entstanden, schreibt Jaroslav Boček, als er auf der Karlsbrücke jemanden auf Russisch sagen hörte „Auf geht’s, Europa!“ Und dann sah er am Brückengeländer einen Mann und eine Frau, die zur Burg hinüberschauten. Er nannte sie Leon und Lucie und stellte sich vor, wie sie zusammengekommen waren: Leon aus Schepetowka am Don hatte in Afghanistan gedient und somit beste Karten für eine Anstellung als Bodyguard in Europa. Lucie, etwas älter als er, war zwar nicht das „Bonzentöchterchen“, das sich, dem Klischee entsprechend, in ihren Leibwächter verliebt, sondern „nur“ die „rechte Hand“ des Chefs der dubiosen Firma „ARGOPAG“ in Prag, aber die Liaison der beiden weckt Neid und Missgunst. Ob Jaroslav Boček wohl den US-amerikanischen Thriller „Bodyguard“ von 1992 kannte? Wahrscheinlich wohl, zumal er selber auch im Filmgeschäft unterwegs war. Und bei Whitney Houstons berühmtem Song „I will always love you“ blieb doch weltweit kein Auge trocken.
Aber dieser Roman spielt nicht nur mit den Mitteln der Romanze und des Thrillers, auf eine kunstvoll ironische Weise, er ist unterhaltsam, spannend und steckt voller Scharfsinn, was Firmen wie „ARGOPAK“ betrifft, von deren europaweiter Vernetzung man erst nach und nach erfährt. „Wir sind keine Mafia“, sagt der Chef zu Leon. Wir sind ehrbare Geschäftsleute. Wir betreiben Hotels und Unterhaltungseinrichtungen, handeln mit gebrauchten Autos, besitzen Diskotheken und Reisebüros … Kein schmutziges Geschäft mit Waffen oder Drogen.“ Letzteres stimmt sogar, doch Waffen sind zur Verfügung und werden skrupellos eingesetzt. Unmöglich, aus dieser Firma nicht einfach auszusteigen, wie Leon es sich vorstellt, nachdem er Lucie einen Heiratsantrag machte, unterstützt von einem Brillanten. Das Geld dafür hatte er …
Man kann dem Mitteldeutschen Verlag nur gratulieren, dass er den 1998 geschriebenen Roman für deutsche Leser entdeckte. Denen soll hier nicht allzu viel verraten werden. Nur so viel: Die Lust an der Lektüre wird groß sein. Den feinen sarkastischen Unterton hat die Übersetzerin Sophia Marzolff genau getroffen. Der Zusammenbruch des Sowjetimperiums hatte eben Folgen. Die vom Westen geforderte und gefeierte Privatisierung bedeutete erst einmal, Reichtum in wenigen Händen zusammenzuraffen, was kaum auf manierliche Art geschehen konnte. Nüchternheit also angesichts durchaus erschreckender Details, verbunden mit erstaunlichem Durchblick. Allzu gern möchte man wissen, ob Jaroslav Boček nicht konkrete Vorgänge im Auge hatte. Wir können ihm nicht mehr fragen, denn er ist 2003 in Prag gestorben.
Von der „russischen Seele“ scheint er einiges zu verstehen. Wie in sich selbst spürt er, was den russischen Tango der Zwanzigerjahre vom lateinamerikanischen unterschied. „Er hatte alles, was ein Tango haben muss, die schleppende Melodie, den synkopischen Rhythmus“, aber „nichts von dem koketten Exhibitionismus, der für den Tango Argentino so bezeichnend ist. Er war voller Wehmut und sinnlicher Trauer. Als würden Geige und Saxofon mit ihren Klagetönen dem Tanzenden zuflüstern: Lebe den heutigen Tag, ein Morgen wird es nicht geben.“ Als ob da eine Ahnung war, dass die „Neureichen und Spekulanten, die in den Sankt Petersburger oder Moskauer Restaurants und Bars“ Tango tanzen, „in Bälde von einer Sintflut überrollt würden“.
Jaroslav Boček: Russischer Tango oder Die Geliebte des Bodyguards. Roman. Aus dem Tschechischen von Sophia Marzolff. Mitteldeutscher Verlag, 292 S., br., 20 €.