Dreck am Stecken
Alissa Ganijewa: Bitterböser Krimi aus einer russischen Provinzstadt
Von Irmtraud Gutschke
Ein torkelnder Mann – ist er betrunken? Er bittet um Hilfe. Soll Nikolaj ihn in sein Auto einsteigen lassen? Von einem Bündel Geldscheine lässt er sich überzeugen. Panne. Als er die hintere Autotür öffnet, fällt ihm der Mann entgegen – direkt auf einen Stein. Mausetot ist der Mann, von dem man später erfährt, dass er der Regionalminister für wirtschaftliche Entwicklung ist. Ein mächtiger Mann, liiert mit einer Unternehmerin, die von seiner Macht profitiert. Wollte sie ihn um die Ecke bringen? Viel mehr Grund hatte doch die eifersüchtige Ehefrau, Schuldirektorin, die sich schon gewohnheitsmäßig bestechen lässt. Es scheint herauszukommen, sie bringt sich um. Oder war es doch jemand anderes? Kann es ein Zufall sein, dass Nikolaj bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, nachdem jemand einen Zettel mit der Aufschrift „Mörder“ an seinen Scheibenwischer geklebt hat? Am Schluss mag man die Leichen kaum mehr zählen und möchte doch wissen, wer hinter dem bösen Spiel steckt.
Alissa Galijewa, bekannt geworden durch ihren großartigen Roman „Die russische Mauer“, der in ihrer Heimat Dagestan spielt, verlegte die Handlung diesmal in eine russische Provinzstadt, in der die Korruption regiert. Gewinner und Verlierer, Aufsteiger und Zurückgesetzte – da ist der Buchtitel „Verletzte Gefühle“ sogar eher eine Untertreibung. Es ist ein knallharter Kampf. Gegenseitige Erpressung und Denunziation sind zur Normalität geworden, und das liegt nicht etwa nur am stalinistischen Erbe, was das Eingangszitat von Alexander Sinowjew nahelegen könnte, sondern am Kapitalismus der ursprünglichen Akkumulation. Wer kann noch als unschuldig gelten unter diesen Bedingungen? Alle haben Dreck am Stecken. Keiner tut der Autorin leid.
Alissa Ganijewa: Verletzte Gefühle. Roman. Aus dem Russischen von Johannes Eigner. Wieser Verlag. 252 S., geb., 21 €.