Was tun, wenn jemand traurig ist?
Irmtraud Gutschke
Es gibt viele schöne Kinderbücher, die auch Erwachsenen Freude machen. Aber die wirklich guten helfen ihnen, etwas zu verstehen, was in Erwachsenenbüchern vielleicht lang und breit verhandelt wird, aber nicht auf den Punkt gebracht, weil sich Autorinnen und Autoren davor scheuen. Für dieses Buch gibt Amazon ein Lesealter von 3 bis 6 Jahren an. Das könnte funktionieren, wenn Kinder dieses Alters so wie Emma mit dem traurigen Hund Mitleid verspüren. Aber können sie sich denn vorstellen, nicht mehr leben zu wollen? Ist es überhaupt gut, sie in die Nacht der Depression blicken zu lassen? Kommen sie damit klar, dass es daraus nur schwierig ein Entrinnen gibt?
Wir Erwachsenen wissen das, und gerade deshalb geht das Buch so unter die Haut. Ob Sabine Rufener wohl selbst so einen traurigen Menschen kennt? „Ich bin eine freischaffende Illustratorin und Autorin mit einer Vorliebe für Moccajoghurt, schöne Bücher, Sonne auf dem Balkon, Himbeeren direkt vom Strauch, Föhnstürme und Obstgärten und einer Abneigung gegen lauwarmen Tee, verkochtes Gemüse und große Hausspinnen.“ So stellt sie sich auf ihrer Webseite vor, und man denkt an eine mitfühlende, lustige, kluge, selbstbewusste Person wie Emma, die dem traurigen Hund helfen will und dafür selber immer wieder neuen Mut schöpfen muss.
Denn er weist sie zurück. Was kräftezehrend ist. Normalerweise schützen sich Menschen dagegen durch Abgrenzung. Müssen ja ihre Kraft zusammennehmen für das Tägliche, fürchten sich vor fremder Niedergeschlagenheit, die ja auch ansteckend sein kann. Und wenn dann jemand auch noch schlecht riecht …
Aber Emma gibt nicht auf. Tag für Tag trifft sie den Hund, der erst einmal gleichmütig reagiert: „Hm, ich schätze, auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nicht an.“ Irgendwann wird er auf sie warten, denkt man. Aber so einfach macht es sich Sabine Rufener nicht. Den Zustand des Hundes spiegelt sie in chaotischen Buntstiftstrichen. Bekommt er gegen Ende etwas mehr Kontur? Geht es ihm einfach deshalb besser, indem er sich eine Brille aufsetzt und die Welt unscharf sieht? Oder schlicht nur, weil er Zuwendung erfährt und aus seiner düsteren Routine herausgedrängt wird?
Ich stelle das Buch nicht nur bei den Kinderbüchern, sondern auch bei den Prosatexten für Erwachsene ein. So viel ist daraus zu lernen, dass sogar ein dicker Ratgeberband daraus werden könnte. Aber ist es so nicht viel besser? Weil da vieles im Schweben bleibt, schwingt es in uns nach.
Sabine Rufener: Emma und der traurige Hund. Kunstanstifter Verlag, 36 S., geb., 24 €.
Sabine Rufener 21. August 2024
Liebe Irmtraud Gutschke, vielen Dank für den schönen Text. Tatsächlich ist die Leseempfehlung bei Amazon meiner Meinung nach zu tief angesetzt, ich würde es eher so ab 6 Jahren empfehlen.