Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Mein Hund Banane

Absurd, gleichnishaft – oder einfach nur witzig

Irmtraud Gutschke

Ich wollte austesten, wie dieses Buch wirkt: „Stell dir vor: Ein kleiner Junge bindet eine Banane an eine Leine und sagt, dass es ein Hund ist. Wie findest du das? Ist das blöd oder witzig.“ Meine vierjährige Enkelin überlegte einen Moment und sagte dann: „Witzig.“ Also las ich ihr den Text von Roxane Brouillard vor, und wir hatten zusammen Spaß an den Bildern von Giuila Sagramola. Wie die Leute verwundert sind, umso mehr, als die „Banane“ am Schluss bellt. Macht sie das etwa wirklich?

„Nochmal“, sagte Frieda. Wie oft ich das Buch wohl vorgelesen habe. Nach dem Mittagessen bekam ich eine Frage gestellt, die mir selber im Kopf herumgegangen war: „Ich weiß immer noch nicht, was es bedeuten soll.“ Da musste ich mir ernsthaft Gedanken machen.

„Es ist ein Spiel“, antwortete ich. Wenn man spielt, kann man sich doch vorstellen, dass sich etwas verwandelt. Deine Plüschkatze kann laufen, und du selber kannst ja auch mal zur Katze werden. Und das ist in diesem Moment für dich wahr, oder?“ – „Aber warum ist der Junge dann so verärgert, als ein Mädchen eine Birne hochhält? Sie darf doch sagen, dass es ihre Miezi ist.“ – Naja, der Junge fühlt sich veralbert.“ – „Denkt er denn, dass eine Banane wirklich ein Hund ist?“ – „Wahrscheinlich ja, in diesem Moment nimmt er es ernst.“ – „Aber die anderen Leute?“

Die wundern sich, lachen den Jungen aus und staunen dann doch. Fast scheint es, als würden sie für Momente an sich selber zweifeln. An Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ muss ich denken. Führt dieses Buch für Kinder ab vier womöglich in die Tiefen der Meinungsmanipulation? „Die Leute glauben dem Jungen ja eigentlich nicht“, sage ich zu meiner Enkelin. „Aber weil er so überzeugend tut (Weißt du, was das ist? Sie nickt.), denken sie für einen Moment, es könnte doch so sein. Er belügt sie, auch wenn er das nur für sich selber spielt.“ – „Er lügt nicht, er spielt“, korrigiert sie mich. Aber warum bellt, die Banane am Schluss?“ – „Das ist eben der Witz. Wir sollen lachen.“

Will das Buch etwa vor Augen führen, wie Sprache Wahrnehmung konstruiert, überlege ich. Quatsch. Um Quatsch geht es. Auch das hat ja in der Literatur Tradition. Ich hatte gezweifelt, ob Frieda das Buch gefällt, weil es so irritiert. Aber ich denke mal, wenn sie das nächste Mal bei uns zu Hause ist, wird sie es wieder hervorholen.

Roxane Brouillard/ Giulia Sagramola: Mein Hund Banane. Aus dem Französischen von Charlotte Gauger. Tulipan Verlag, 40 S., geb., 16 €.

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