Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Hendrik Jonas: Eine Dachbodengeschichte

Der Reiz des Reims

Von Irmtraud Gutschke

„Auf diesem düstren Trockenboden,/ voll Plunder und auch Holzkommoden,/ sitzt neben einem Schießgewehr/ ein alter kleiner Teddybär.“ – so beginnt „Dachbodengeschichte“ von Hendrik Jonas. Auf der gegenüberliegenden Seite ist alles so lustvoll aufgemalt, dass man allein schon am Betrachten all der alten Dinge seine Freude hat – eine große Standuhr, ein Bügeleisen von anno dazumal, ein Teppichklopfer, ein Hut und, und, und, nicht zu vergessen, Spinne und Maus. Aber vor allem deshalb  hat mir das Buch so großen Spaß gemacht, weil der malende Autor sich auf Gereimtes eingelassen hat. Denn Rhythmus und Reim stehen bei Kindern ab drei hoch im Kurs. Geschichten werden dadurch nämlich viel eingängiger als in stinknormaler Prosa und werden dann bisweilen sogar auswendig wiederholt. Was aber voraussetzt, dass sie mit entsprechender Betonung vorgelesen werden. Kein Problem, wenn da Wörter auftauchen, die Kindern neu sind. In Reime gepackt, fließen sie gleichsam ins Gehirn. Wobei (nicht beim ersten, eher beim zweiten oder dritten Vorlesen, dazu kommt es garantiert) auch mal eine Zwischenfrage angebracht ist. Weißt du, was „Plunder“ heißt? Oder „Verdruss“ – hast du das schon mal gehört? Wie ließe sich der Wortschatz besser erweitern als durch ein Buch, das hier eben auch noch sehr lustig illustriert ist. Henrik Jonas ist ja von Haus aus Grafiker. Man merkt, es hat ihm selber Spaß gemacht, sich diese Geschichte auszudenken. „Was ist das für ein Leben?/ Hier gibt’s nur Kram und Spinnenweben.“ – Also bricht der alte, kleine Teddybär auf ins Freie. „Ist die Erfüllung meiner Träume/  ein Garten voller Apfelbäume?/ Wo Spatzen zanken sich zu neunt?/ Er brummt: „Ach was! Ich such nen Freund!“

Nun ist es heraus, was der Sinn des Lebens ist: ein gutes Miteinander. Das stellt sich natürlich nicht auf Befehl her, und oft bedarf es eines Zufalls, den wir dann als glückliche Fügung erkennen. In diesem Augenblick könnte die Geschichte schon ihr Happy End haben. Denn viele glückliche Momente findet man in Wort und Bild. Doch irgendwann … – soll ich es hier verraten – findet sich der Bär auf dem ihm so vertrauten Dachboden wieder. Jetzt ist er allerdings nicht mehr allein. Und der ganze Plunder gewinnt sogar einen Sinn, wenn es gelingt, spielerisch damit umzugehen. Viel Lebensweisheit steckt in dieser Geschichte, und es sind immer wieder die Einzelheiten und überraschenden Wendungen, die gute Laune machen.

Hendrik Jonas: Eine Dachbodengeschichte. Tulipan Verlag. 48 S., geb., 16 €.

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