Folgt euren Träumen!
Irmtraud Gutschke
Was für eine wunderbare Entdeckung! Man kann dem Leipziger Kinderbuchverlag nur gratulieren, zum 100. Geburtstag von Bulat Okudshawa dieses bisher unbekannte Buch von herausgebracht zu haben. Sein Name Окуджава ist im Buchtitel auch richtig transkribiert – Okudshawa und nicht Okudschawa, weil er schließlich nicht Окудшава heißt. Noch dazu wurde ist es eine zweisprachige Ausgabe. „Wunderbare Abenteuer“, liest man auf Deutsch, und dreht man das Buch um, sind es „Преслестные приключения“. Russisch und Deutsch – zwei Seiten einer Medaille, zumindest für mich. Auch Steffen Lehmann, der Leiv-Verleger, beherrscht die Sprache und konnte die Übersetzung von Jekatherina Lebedewa mit dem Original vergleichen. Daran hatte auch ich meine Freude. Und immer wieder habe ich gestaunt, wie es die Heidelberger Professorin geschafft hat, schier Unübersetzbares ins Deutsche zu bringen.
1961 in Leningrad geboren, hat sie von 1980 bis 1985 Übersetzungs- und Literaturwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität studiert und 1990 zum Thema „Russische Gitarrenlyrik – Genesis eines modernen literarischen Genres“ promoviert. Ein Buch dazu hat sie im Verlag Volk und Welt herausgegeben. Der russisch-georgische Liedermacher Bulat Okudshawa war ihr also schon lange bekannt. Hat sie womöglich auch die Verbindung zu seinen Erben hergestellt? Wie es auch immer sei, der „Unerträgliche Aufdringliche KummDopf“ im Buch ist ihr Werk. Auf Russisch heißt er „Невыносимый Приставучий Каруд“. Sie hat etwas Verstärkendes hinzugefügt: Der aufdringliche Gedankenwächter ist auch noch dumm. Denn wie soll es denn möglich sein, dass alle zusammen immer ein und dasselbe denken und machen?
Gegen eine ideologische Einhegung des Individuellen hat sich auch Bulat Okudhawa zeitlebens gewandt. Eine innere Widerstandsleistung in sowjetischen Zeiten, die hier aber eine sehr lustige Form annimmt. Denn die hier beschriebenen Abenteuer waren für seinen kleinen Sohn gedacht. Während er sich in Jalta, auf der Krim, befand, schrieb er ihm Briefe. Mag sein, dass es wirklich regnete, als er sich ausdachte, unerwarteten Besuch zu bekommen. „Kräg Hammel von Hohenstein“ wird von nun an bei ihm wohnen. Im Russischen ist es ein Schaf aus dem kanadischen Kootenay-Nationalpark, im Deutschen errate ich in seinem Namen eine Verbeugung vor der Slawistin Franziska Thun-Hohenstein, der Tochter der Slawistik-Professorin Nyota Thun und des Diplomaten Ferdinand Thun, der eigentlich ein Graf von Thun und Hohenstein war, aber seinen Adelstitel in der DDR abgelegt hatte.
Immer zieht es den Hammel nun auf die Berge. Doch ins Zimmer kriecht nun eine Schlange, die eine „Gute“ ist, die Wärme liebt und es sich gern auf der Tischlampe bequem macht. Auch Okudshawa, erklärt Lebedewa später, hatte eine Schlange aus Gummi zu Hause ebenso wie einen Löwen aus Porzellan. Der allseits gefürchtete „Meergruslig“ ist eigentlich ganz ungefährlich, sehnt sich nur nach seiner „Gruseljana“, die am Ende auch erscheint. Vorher aber haben die vier die verrücktesten Abenteuer zu bestehen. Schluss mit Langweile an einem Regentag, es wird absolut turbulent. Und spannend und witzig. Kinder ab 5, für die das Buch gedacht ist, werden sich prächtig amüsieren.
Und Erwachsene werden sich dazu noch ihre Gedanken machen. Wie verschieden die Freunde sind und wie sie sich deshalb umso besser gegenseitig helfen können! Wie schön es ist, dass sie sich von dem „Unerträglichen Aufdringlichen KummDopf“ nicht irre machen lassen, der sie offensichtlich verfolgt. In der sowjetischen Realität konnten solche „Ideologiewächter“ äußerst gefährlich sein, wie der Autor wohl wusste. Aber weil es so dumm ist, Menschen in ihrer inneren Freiheit einhegen zu wollen, kann man insgeheim auch über sie lachen.
Folgt euren Träumen – so verstehe ich die Botschaft dieses vergnüglichen Buches.
Bulat Okudshawa: Wunderbare Abenteuer. Aus dem Russischen von Jekatherina Lebedewa. LeiV-Verlag, 80 S., geb., 12.90 €.