Der große Gefühlsausbruch
Von Irmtraud Gutschke
Wir wissen nicht, warum das kleine Mädchen in diesem Buch „rot sieht“. Es scheint mehr als ein Trotzanfall zu sein. Wurde sie gekränkt? Ungerecht behandelt? Das lässt die Autorin Britta Teckentrup völlig außen vor. Die Ursache der Wut interessiert sie nicht, nur der Vorgang selbst, einem großen Gefühlsausbruch auch selber ausgeliefert zu sein. „Ich donnere, blitze, schreie, blase, wüte wirble, heule, rase! … Ich bin ein Wirbelsturm. Nichts kann mich halten! Feg über die Erde und nichts bleibt beim Alten!“ – Dazu kraftvolle Bilder, rot und schwarz. Man kann es im übertragenen Sinne verstehen, dass Veränderungen oft mit heiligem Zorn beginnen. Wenn der fehlt, gibt es zwar herrliche Ruhe, aber auch Stagnation.
Doch dies ist ein Buch für Kinder ab vier. Für frühere Generationen galt grundsätzlich, dass sie von früh an zum Affektverzicht erzogen wurden, damit sie pflegeleicht waren.. Notfalls mit Gewalt erkämpften sich die Erwachsenen ihr Recht auf eine wenn auch erzwungene Harmonie. Sie selber durften mal „ausrasten“, dem Kind war das verwehrt. Aber selbst bei einem kleinen Trotzanfall, wie fühlt ein Kind sich dabei? Am Anfang mochte da Mutwille sein, bald aber hat die Wut ihr Eigenleben. „Die Wut kommt ganz plötzlich und ist laut, nicht leise. Wut ist der Anfang von meiner Reise.“ Was die Autorin sagen will: dass Kinder ein Recht haben zu solchem Gefühlsausbruch, auch wenn er die anderen stört. Oder ist es nicht ganz so einfach? Müsste man Kindern auch begreiflich machen, dass Wut verletzen kann?
Wenn der Sturm vorbei ist, malt Britta Teckentrup einen schönen blauen Himmel. Da überlegt man, ob in dem Kind im Buch vielleicht eine erwachsene Frau steckt, die allzu lange schwieg und nun endlich den Tiger reitet neuen Welten entgegen. Nun, Kinderbücher werden von Erwachsenen geschaffen, gekauft und vorgelesen und nicht selten bieten sie ihnen eine spezielle tiefere Ebene, die Kindern noch verborgen ist.
Britta Teckentrup: Wütend. Prestel Verlag, 48 S., geb., 18 €.