Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

„Auf den Fels sollte man hinauf“

Gedichte für Kinder von Michael Hammerschmid

Irmtraud Gutschke

„Abgefahren“, sagte meine Tochter, ich glaube nicht, dass es was für Frieda ist. Irrtum. Eigentlich sollte ich an Stelle einer Rezension ein Video senden, wie ich mit der Vierjährigen auf dem Bett liege und sie mir ganz aufmerksam beim Vorlesen zuhört. Auch wenn sie mitunter nicht alles versteht, zum Beispiel als es um die „friedensbrücke“ geht. Aber man sollte nicht unterschätzen, welche Bedeutung Reime für Kinder haben. Überhaupt rhythmische Sprache, wie sie Lust macht, sich selber auszudrücken. Wie schnell da etwas gelernt wird. Ich liege also mit Frieda auf dem Bett – wir machen es uns gemütlich, wie ich dazu sage – und sie amüsiert sich schon auf der ersten Seite über die Hasen, die offenbar als erste am Kühlschrank sein wollen, wo sich Möhren stapeln. Die Illustrationen von María José de Tellería sind nicht kindgemäß niedlich und auch naturalistisch nicht. Aber Kinder kommen mit sowas viel besser zurecht, als man denkt. So spielerisch, wie sie sind, passen sie zu den Gedichten von Michael Hammerschmid. Guck mal, die Bienen klettern zu den Giraffen eine Leiter hinauf, sagt Frieda und schüttet sich aus vor Lachen, als ich im Gedicht „kekse sind gelb“ zu den letzten vier Zeilen komme: „die wohnung ist gelb/ meine nase aus butter/ ja sogar die meiner mutter/ was uns beiden gefällt.“

Vieles ist lustig, doch das Gedicht „auf den Fels sollte man hinauf“ ist am lustigsten. Es trifft ein Kind bei seinem übermütigen Wollen, bei jener Tatkraft, die allzu oft gebremst wird. Es ist befreiend: „was man angreifen kann/ das greift man an/ was für später ist/ nimmt man jetzt dran/ was verboten ist/ probiert man aus/ und was man träumt/ lässt man nicht aus“. Nochmal, bekomme ich zu hören, nochmal, nochmal. Wie oft denn noch. Irgendwann wird sie den Text auswendig können. Das wird ein Lieblingsbuch.

Michael Hammerschmid: wer als erster. Illustrationen von María José de Tellería. Jungbrunnen Verlag, 32 S., geb., 16 €.

Weiter Beitrag

Zurück Beitrag

1 Kommentar

  1. Michael Hammerschmid 19. Januar 2023

    vielen dank, frau gutschke, für diese szenisch wache, lebendige rezension, über die ich mich sehr freue.
    mfg michael hammeschmid

Antworten

 

© 2024 Literatursalon

Login