Wetten, dass da auch Erwachsene vieles nicht wissen
Von Irmtraud Gutschke
Wüssten Sie auf Anhieb zu sagen, wann die Erde entstanden ist, wie die ersten Lebewesen aussahen und wie die Welt überhaupt beschaffen war? Vor 300 Millionen Jahren gab es nur einen einzigen Kontinent. Bis vor 65 Millionen Jahren bevölkerten die Dinosaurier den Planeten und dann verschwanden sie plötzlich. Unsere frühesten Vorfahren sollen in Afrika gelebt haben. Welche Bedeutung hatten Sprache und Kunst für den Homo sapiens, und wie viel Neandertaler steckt in uns? „321 superschlaue Dinge, die du über Geschichte wissen musst“, verspricht das Buch von Mathilda Masters. Das ist wahrlich viel, aber genug kann es doch nicht sein, oder?
Aber nimm das Buch doch erst einmal, wie es ist, sage ich mir. Von der Urgeschichte, über das Altertum, das Mittelalter, die Neuzeit bis zur Gegenwart führt die Autorin auf eine unglaublich unterhaltsame Weise. Statt langer Abhandlungen kurze Häppchen – interessante Fakten, kuriose mitunter. Frauen im Alten Ägypten waren emanzipiert, hört. hört. nach der Hochzeit wurde die Frau zur „Vorsteherin des Hauses“. Bei den Griechen war es schon nicht mehr so. Frauen mussten zu Hause bleiben und brav sein. Beim Sport waren die Männer nackt, und die Frauen durften nicht zuschauen. Die griechische Philosophie, Sokrates, die Bekleidung, das Essen, die Erfindung des „griechischen Feuers“ – wenn Geschichtsbücher oft die Machtkämpfe betonen, legt Mathilda Masters wohltuend Wert auf Alltagsgeschichte, die sonst nicht selten zu kurz kommt.
Das alte Rom von 750 v. Chr. bis 467 n. Chr., die Kelten, die die Seife erfunden haben sollen, die Germanen, die gute Geschichten liebten, die Chinesen, deren Geschichte eigentlich viel, viel weiter zurückreicht als in diesem Buch dargestellt – eine gewisse Westzentriertheit gibt es hier schon. Aber was auf 293 Seiten über die Geschichte der Welt unterzubringen war, sollte doch erst einmal begeistern. So viele Einzelheiten über Ritter und Bauern im Mittelalter. Gabeln galten damals als „Teufelszeug“. Urin wurde benutzt zum Gerben von Leder. Wie ging es in den Klöstern zu? Dracula hat es wirklich gegeben, aber König Artus wahrscheinlich nicht. Wie gesagt, so viele Einzelheiten. Wer sozialökonomische und geopolitische Zusammenhänge kennt, bekommt hier eine Menge Wissenswertes hinzu. Wer nicht, dem fehlt die Verbindung. Aber da gibt es natürlich auch noch den Geschichtsunterricht. In dem können Kinder glänzen, wenn sie dieses Buch besitzen.
Für die Zeit von 1500 bis zur Gegenwart bleiben gerade mal 100 Seiten. Fertigwerden, hat sich die Autorin da wohl befohlen. Was muss unbedingt sein, was kann sie weglassen? Die großen Entdeckungsreisen mussten sein und die Erfindung der Schokolade, der Kaffee, der im 17. Jahrhundert seinen Weg nach Europa fand, die Piraten und Piratinnen, für die sich Kinder schließlich interessieren, die französische Revolution auf die Schnelle, Napoleon, der lange heiße Bäder liebte, der Wilde Westen … Das Fahrrad musst erfunden werden und der Zeppelin. „289 Millionen Europäer wandern nach Amerika aus.“ So viele? Dass der Sieg der Sowjetunion über die Hitlerarmee den Alliierten subsumiert wird, sei’s drum. „Hurra, die Mauer fällt!“ Aber seitdem wurden viele neue gebaut. 45 Grenzmauern und 56 gesicherte Grenzzäune gibt es heute weltweit. Mehr als 10 Millionen Menschen leben in Flüchtlingslagern.
Wobei ich verstehe: Das Buch sollte unterhaltsam sein und für Kinder ab 11 geeignet. Was ich ganz sicher weiß: So eines hätte ich als Kind selber gern gehabt, und als Erwachsene werde ich es mir ins Buchregal stellen. Wer weiß, welche Einzelheiten ich mal nachlagen will.
Mathilda Masters: 321 superschlaue Dinge, die du über Geschichte wissen musst. Illustrationen von Louize Perdieus. Aus dem Niederländischen von Stefanie Ochel. Carl Hanser Verlag, 293 S., br., 22 €.