Der Allerschönste
Natürlich, es ist eine Frage des Geschmacks, was für ein Bild man sich ins Zimmer hängt. Ein Kalender ist ja ein Bild, das monatlich, wöchentlich oder gar täglich wechselt. In die Datumsleiste tragen wir ein, was wir am betreffenden Tag vorhaben, was wir nicht vergessen wollen.
Den Kalender „Jugendstilfenster“ auf diese Weise vollzukritzeln, tut einem indes leid. Er ist zu schön, vielleicht der schönste von allen. Die brillanten Foliendrucke brauchen den reinweißen Hintergrund, um zu wirken. Abgesehen davon, ob man die Möglichkeit dazu hätte, Leute gibt es, die keinesfalls ein Haus mit solchen Fenstern beziehen wollten. Wenn man sich dazu noch die Möbel, die Gemälde, das Porzellan vorstellt, liegt ein abwertender Begriff dafür nicht weit: unmodern.
Aber ich mag Häuser, die Geschichte atmen, und auch die passende Einrichtung dazu. Und ich würde mir keinen Eisenbahn- oder Autokalender ins Zimmer hängen (wie gesagt, Geschmackssache), nur diesen, an diese Stelle, wo ich ihn beim Frühstücken vor Augen habe. Über viele Jahre schon. Die Bilder: Jedes Jahr neu. Dieses Mal sind viele Fenster aus Florenz dabei, aber auch aus Manchester, Nancy, sogar aus Bad Nauheim, wo der Sprudelhof im Badehaus 2 von Friedrich Wilhelm Kleukens (1878-1956) so aufwendig geschmückt wurde, wie man es heute wohl nicht mehr täte. Zwei Pfauen, umgeben von kleinen farbigen Ornamenten – der Künstler brauchte viel Zeit für diese Glasarbeit, Zeit, die nun sozusagen im Bild geronnen ist, und mir beim Betrachten geschenkt wird, damit ich verweile, staune, für Momente aus dem hektischen Jetzt heraustrete.
Zu Recht wirbt der Verlag damit, dass sich der Kalender dauerhaft verwenden lässt, indem man die Folien ablöst. Leuchtend wie echtes Glas lassen sie sich als Fensterdeko verwenden. Jedenfalls ist es mir unmöglich, diese Kalender wegzuwerfen, wenn das Jahr vorbei ist.
Irmtraud Gutschke
Jugendstilfenster Kalender 2021. Verlag Weingarten,
45,9 x 55 cm, 14 S., 46 €.