Willkommen in meinem Literatursalon
Irmtraud_Gutschke

Lesen macht glücklich, weil es uns sagt, wer wir sind und wer wir sein wollen, weil wir über uns hinauswachsen, in fremder Haut erleben dürfen, was uns sonst verschlossen bliebe. Heutzutage scheinen wir ja in Informationen zu ertrinken und haben doch das Gefühl, dass uns Wichtiges fehlt. Was ich suche, sind Bücher, die in diesem Sinne nachdenklich machen, ja auch solche, von denen ein Leuchten ausgeht. Viele Jahrzehnte habe ich als Literaturredakteurin mit Hunderten, ja Tausenden von Texten zu tun gehabt, auch selber Bücher geschrieben. Die Neugier auf Neues will ich hier mit anderen teilen.

„literatursalon.online“: Stellen Sie sich vor, wir sind zusammen in einem schönen Saal, und Sie möchten von mir wissen, was sich zu lesen lohnt. Was interessiert Sie denn, frage ich zurück. Politische Sachbücher? Gute Romane und Erzählungen? Spannende Krimis? Bildbände, die man immer wieder betrachten möchte? Mit meiner Auswahl lade ich Sie zu Ihren eigenen Entdeckungen ein.

Irmtraud Gutschke

Wenn Sie mehr über mich erfahren wollen - meine Biografie, meine Bücher und Veranstaltungen - , schauen Sie auf meine Webseite www.irmtraud-gutschke.de

Wjatscheslaw Kuprijanow

Der weite Blick

Von Irmtraud Gutschke

Wo gibt es ihn noch in der modernen Lyrik: diesen weiten Blick? Vom Weltall auf die Erde, von der Erde in den unendlichen Himmel – wer so schaut, für den könnten sich die Maßstäbe relativieren, könnte das Eigenen nichtig werden, weil in größere Zusammenhänge eingeordnet. Aber beides geschieht in den Gedichten von Wjatscheslaw Kuprijanow gerade nicht.

Dieser Dichter, 1939 in Nowosibirsk geboren und seit 1967 freischaffend in Moskau, zeigte früh schon eine Affiniät zur deutschen Lyrik, übersetzte Hölderlin, Chamisso, Novalis, R. M. Rilke, Hofmannsthal, Brecht, Arp, Fried, Grass, Jandl. Immer mal wieder lebt er auch in deutscher Umgebung. Dort hat er für seine Texte einen großartigen Übersetzer: Peter Steger. Da die Gedichten im Band auch die Originalfassung gibt, kann man Stegers Leistung ermessen. Da befinden sich Autor und Übersetzer wohl auf eienr Wellenlänge.

Kuprijanows Talent ist es, ein Ganzes zu erfassen, allerdings von seinem Ich aus, das nicht nur vom Momentanen, sondern zuzusagen von der ganzen Welt bewegt ist. Da gibt es vom Persönlichen einen Weg zum Menschheitlichen, der heutzutage wohl nicht allzu oft begangen wird. Individuelles ja, aber Individualismus nein. Oft findet sich ein Aufruf in den Texten, wird eine Besorgnis auf den Punkt gebracht. „Die Tiere singen:/ Wir ängstigen uns vor den Menschen, wir knurren/aus Furcht.“ Vielleicht sind wir ja wirklich „Lebensanfänger unter unserem Stern“, noch fern einem wirklichen „Menschenreich“.

„Je mehr Kleinigkeiten ist gibt/ desto stärker beeinflussen sie/ unsere Zeit.// Um ihnen Platz zu machen, /werfen wir aus dem Bewusstsein/ die Tugend,/ die hohen Ideale/ das Gewissen, /das Gemeinwohl ab.“ Viele Texte tendieren zum Lehrgedicht. Zum Beispiel „Hasen“: „Wollte man die Hasen bewaffnen, /damit sie die Wölfe ausrotteten,/ werden dann die Hasen/ nach der Ausrottung der Wölfe/ einander ausrotten?// Werden die Hasen/ jene ausrotten,/ die sie bewaffnet haben?// Wird es/ Hasen geben?“ Ein befremdeter Blick auf den modernen Menschen, der zu einem „Gefangenen des Fernsehaquariums“ wird. und der vergessen hat, was wirklich ein „Paradiesgarten“ wäre.

Wjatscheslaw Kuprijanow: Für den unbekannten Feigling. Gedichte und Prosa-Gedichte (Rus./Dt.) Aus dem Russischen von Peter Steger. Pop Verlag, 206 S., br., 19,50 €.

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1 Kommentar

  1. Nora Gaydukova 13. Januar 2022

    Sehr interessant

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